Bombenbrut
besteigt er die Terrasse, wo sich früher nur adlige Kirchenfürsten der Salemer Abtei bewegten. Er benötigt nicht lange, um sich abzutrocknen und im maßgeschneiderten Sommeranzug am gedeckten Frühstückstisch zu erscheinen.
»Ich muss schnell rüber ins Büro«, nuschelt er seiner jungen Frau Ines zu, während er ein halbes, mit fetter Leberwurst beschmiertes Brötchen in seinen Mund schiebt, »ich muss drüben sein, bevor Herbert kommt«, sagt er mit vollem Mund.
»Setz dich durch, du bist der Chef!«, antwortet Ines, die sich täglich dem Abbild einer alternden Barbiepuppe mit überbordenden Fettpölsterchen nähert. Sie hat ihre blond gefärbten Haare hochgesteckt, ist in einen rosa Bademantel gehüllt und schaut durch ihre himmelblauen Kontaktlinsen bewundernd zu ihrem Mann auf.
»Das werd ich auch bleiben«, antwortet dieser ungerührt, »deshalb, meine Süße, lass dir mal dein Müsli schmecken, ich muss eben das mit dem Chef noch mal einigen Herren da drüben deutlich machen.«
»Wieso? Matthias ist doch tot, der kann dir nichts mehr«, flötet Ines naiv und selbst für ihren Mann erschreckend frivol.
»Das ist ja das Problem«, schnauft Gunther verärgert und marschiert voller Tatendrang hinüber in sein Unternehmen.
Mitten in das kleine Wäldchen hat er, neben das barocke Wohnschlösschen, seine eigene kleine High-Tech-Schmiede gesetzt. Ein heller, gläserner Flachdachbau, bewusst modern, im Gegensatz zu der alten historischen Schlossfassade.
Er hat nur wenige Meter hinüberzugehen, grüßt mürrisch den Wachmann in seiner Pförtnerloge, hält den Chip seines Ausweises an ein Lesegerät, gibt seine Codenummer ein und marschiert schnurstracks in Kluges Büro.
Zuerst ist es ihm ein bisschen mulmig. Wenn ihn jemand am Schreibtisch des erst gestern verstorbenen Kollegen entdecken wird?
Auf der anderen Seite ist er verantwortlich, dass der Laden weiterläuft. Deshalb muss er auch Kluges Geschäfte weiterführen. Er muss die Namen wissen, mit denen Matthias in Verhandlungen stand. Die Patente haben ihn bis heute viel Geld gekostet und vor allem die Produktion des Spiegels in Frankfurt, dieser Prototyp, wird ein Vermögen verschlingen. Die Auslagen müssen zurück in die Kasse, dringend.
Kluges Büro liegt im Parterre, am Ende des Gangs. Der Raum ist postmodern eingerichtet, wie alle Büros bei Defensive-Systems. Ein Innenarchitekt hatte die Gestaltung und die Möblierung übernommen. Rundum grauer, glatter Rauputz, an einer Wand das solide Schweizer Schrankwandsystem USM in verchromtem Messing und dunkelgrünen Metallplatten. Die Wand gegenüber der Eingangstür besteht nur aus Glas, das Grün der Wandschränke setzt sich im Garten Schwankes fort und es scheint, als würde der in der Morgensonne glitzernde See davor mit zu dem kargen Raum gehören. Die linke Wand steht in allen Räumen des Unternehmens frei, so wollte es der Architekt, und in allen Büros liegt in der Mitte des Raums eine gläserne Schreibtischplatte auf einem verchromten Messinggerüst, baugleich wie der Büroschrank.
Doch von der Glasplatte ist in Kluges Büro nicht mehr viel zu sehen. Haufenweise Prospekte und Produktbeschreibungen von Satellitensystemen türmen sich darauf, als würde die Welt keine anderen Verkaufsartikel mehr kennen. Im All wird die Zukunft der Menschheit entschieden. Wer die Vormachtstellung im Kosmos hat, ist der Gewinner! – Dies ist das heutige Glaubensbekenntnis aller Wehrexperten.
Schwanke durchstöbert die Prospekte, findet die eigenen zum Zentralachsenspiegel, entdeckt aber weder einen Timer noch ein Adressbuch von Kluge. Er stöhnt und flucht, die ersten Schweißperlen bilden sich am frühen Morgen auf seiner Glatze, schließlich erinnert er sich an Kluges iPhone. »Mehr braucht es heute nicht mehr«, hatte Matthias ständig gesagt und das Ding immer bei sich getragen.
Eilig durchsucht Schwanke den Büroschrank, findet dort aber nur Aufzeichnungen von längst abgeschlossenen Projekten.
»Verdammt«, schießt es ihm durch den Kopf, »ich brauche dieses Mistgerät …« Zornig dreht er sich in dem Zimmer um, liest Kluges alte Urkunden an der sonst kahlen Wand. Lächelt feinsinnig über die Promotionsurkunde, die Matthias schon am ersten Tag seines Einzugs aufgehängt hatte, und erinnert sich an den Wegweiser vor der Tür, auf dem unbedingt stehen musste: ›Dr. Kluge, Key-Account-Manager‹.
Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen verlässt Schwanke das Büro. Er denkt an Matthias, das
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