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Böse Dinge geschehen

Böse Dinge geschehen

Titel: Böse Dinge geschehen
Autoren: H Dolan
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offen, und er hatte seine Füße auf die Fensterbank gelegt. Auf seinem Schreibtisch stand eine Flasche. »Anfangs, als Laura und ich noch auf dem College waren, wurden die meisten Storys, die wir veröffentlichten, von Studenten geschrieben. Manche schrieben wir auch selbst und veröffentlichten sie unter Pseudonym. |20| Aber als ich damit begann, die Website aufzubauen, habe ich die meisten dieser alten Geschichten weggelassen. Nur die besten kamen auf die Website. Von mir sind keine dabei. Ich habe Urteilskraft genug, um zu wissen, dass sie da nicht hingehören. Wissen Sie, was das über mich sagt?«
    Diese Frage hatte Loogan nicht erwartet. »Was?«, sagte er.
    »Dass ich Lektor bin, Lektor und Redakteur. Ursprünglich will niemand Lektor werden, aber hier sind wir nun, Sie und ich.« Kristoll griff nach seinem Glas auf dem Schreibtisch und hielt es in seinem Schoß. »Jetzt bin ich ein wenig rührselig geworden«, sagte er. »Sie werden es mir verzeihen. Schreiben Sie es dem Scotch zu.«
    »Ich glaube, Sie trinken weniger Scotch, als Sie vorgeben«, sagte Loogan.
    »Das ist ein guter Satz. Ich kann das beurteilen – ich bin Lektor.«
    Ein Windzug, der durchs Fenster kam, wehte einen der Briefe vom Schreibtisch auf den Fußboden. Loogan wollte ihn aufheben, aber Kristoll sagte ihm, er solle ihn liegen lassen.
    »Gehen Sie nach Hause, David«, sagte er leise. »Die Sonne ist untergegangen. In dieser Jahreszeit bleibt es ewig hell, aber nun ist es doch dunkel geworden.«
    »Sie gehen noch nicht?«
    »Ich bleibe noch ein bisschen hier. Machen Sie draußen bitte das Licht aus, ja? Gute Nacht.«
    Auf dem Teppich der Eingangsdiele waren Loogans Schritte nicht zu hören. Er hielt an der Tür zum Flur inne, um auf den Schalter zu drücken. Als er zurückblickte, sah er Kristoll im Profil dasitzen, den Kopf hatte er in den Nacken gelegt, die Augen waren geschlossen. Die Tür zu seinem Büro bildete den Rahmen für das Bild, eine Komposition in Schwarz-Weiß: dunkles Haar, kurz geschnitten, frisches weißes Anzughemd, blaugrauer Schreibtisch.
    Das Licht der Schreibtischlampe funkelte auf dem Rand seines |21| Glases. Seiner Gesichtshaut verlieh dieses Licht ein fahles Weiß, und sein Ausdruck bekam eine Reinheit und eine Ruhe, die Loogan noch nie zuvor an ihm gesehen hatte.
    Loogan würde sich an diese Ruhe erinnern und an die Sanftheit und Liebenswürdigkeit in Kristolls Stimme, als er zu ihm gesagt hatte, er solle nach Hause gehen. Später, nachdem er begonnen hatte, mit Kristolls Frau zu schlafen, würde er an beides denken, die Sanftheit und die Liebenswürdigkeit.
     
    Ende August stand Loogan in einem Museum und betrachtete die riesige Fotografie eines Blattes. Das Blatt war saftig und grün, aber es lag zwischen lauter Steinen und Sand, und über seine Oberfläche waren Sandkörner geweht worden. Loogan machte einen Schritt nach rechts, und da hingen eine Reihe kleinerer Fotos: totes Laub, das in trockenen, rissigen Schlamm getreten worden war. Die Blätter hatten zusammen mit dem Schlamm Risse bekommen, als dieser getrocknet war. Schwarze Rillen führten durch sie hindurch wie Adern.
    Er hörte, wie jemand seinen Namen sagte, und als er sich umdrehte, stand Laura Kristoll neben ihm.
    »Es sind immer Blätter«, sagte sie. »Es gibt noch zwei Räume mit Blättern. Kommen Sie mit, ich zeige sie Ihnen.«
    Den ganzen Sommer über hatte es weitere Partys im Haus der Kristolls gegeben, und Loogan war einige Male dabei gewesen. Er hatte nur bei einer Handvoll Gelegenheiten mit Laura gesprochen, aber nun tat sie ganz vertraut mit ihm, nahm seinen Arm und führte ihn durch die Ausstellung. Alle Fotos zeigen, wie sie gesagt hatte, Blätter: Blätter nach dem Regen, Blätter am Grund eines Flusses, Blätter auf Landstraßen. Blätter, vom Feuer geschwärzt. Eine Nahaufnahme eines einzelnen, verwelkten Blattes, das so dünn und brüchig war, dass es schon fast zu Staub zu zerfallen drohte. Sie ließ ihre Hand auch dann noch locker an seinem Arm ruhen, als sie vor diesem letzten Bild standen. Nach einer Weile sagte er zu ihr, dass er jetzt gehen müsse. Er |22| habe noch zu tun. Ihre Hand wanderte seinen Arm hinunter, zu seinem Handgelenk, zu seiner Handfläche. Ihrer beider Finger umschlossen sich.
    »In Ordnung, David«, sagte sie.
    In der folgenden Woche rief sie ihn an. Es gab eine neue Fotoausstellung, diesmal in einer Galerie in der Innenstadt. »Der Fotograf stammt von hier«, sagte sie. »Er arbeitet mit Papier und
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