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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
Autoren: Hermann Hesse
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Papsthof zu Avignon. Mit großem Eifer forschte er dem Leben und den Schriften des
    Boccaccio im Gespräch mit Petrarca

    Dante nach, den er ungemein verehrte. Mit dem etwas älteren Petrarca, welcher damals von sich selber und von jedermann für den größten lebenden Dichter gehalten wurde, pfegte er eine edle und herzliche Freundschaft und war untröstlich, als dieser im Jahre 1374 starb.
    Aber das Leben dieses merkwürdigen Mannes, dessen Anfang ein Abenteuer und dessen erste Hälfte ein Hymnus der Liebe zu sein scheinen, verwandelte sich zum Schlusse noch in eine fromme Posse. Noch als ein
    Die Kirche San Stefano
    rüstiger Mann hatte er das Dekameron geschrieben, welches bald auf schalkhafte, bald auf leidenschaftliche Art dem Dienste schöner Frauen huldigt und über Mönche und Priester unerschöpfichen Hohn ergießt. Nicht gar viel später aber gelang es einem schwindelhaften Mönche, namens Ciani, ihn zu bekehren, und zwar vermittelst einer nicht einmal sehr durchtriebenen Bauernfängerei, und von da an hörte man ihn seine schönsten Werke nie anders denn als verwerfiche Jugendsünden und Verirrungen bezeichnen. Noch viel schlimmer aber und lächerlicher ist es, daß der vormalige Schalk und Weiberfreund in seinen älteren Tagen zu einem argen Frauenverächter ward und ein Buch mit dem Titel Corbaccio geschrieben hat, in welchem man, wenn man Lust hat, Hunderte von schimpfichen, grausamen, haßerfüllten und anklagenden Reden über die Weiber fnden kann – dazu in einer Redeweise, welche an Unfätigkeit auch die kühnsten Stellen seiner früheren Werke zehnmal übertrifft. Das sollte seine Rache an jener grausamen Witwe sein; allein der Dichter tat damit, wie wir es oft sich ereignen sehen, nur einen Schnitt ins eigene Fleisch.
       Eine späte Ehre ward ihm zuteil, indem er nach mannigfachen Studien und Reisen im Jahre 1373 zum öffentlichen Ausleger der göttlichen Komödie des Dante zu Florenz ernannt wurde, wofür er jährlich hundert Goldgulden bezog. Diese Vorlesungen hielt er unter großem Zulaufe in der Kirche Santo Stefano bis kurz vor seinem Tode. Er starb am 21. Dezember 1375, zweiundsechzig Jahre alt, und wurde ehrenvoll bestattet. Die Liebe zu der großen Dichtung des Dante verlieh seinen späteren Tagen, trotz des bösen Corbaccio, noch eine gewisse ehrwürdige Glorie. Für die nachfolgenden Jahrhunderte aber ist er wieder der Geschichtenerzähler mit der Schelmenmiene geworden, und dem heutigen Geschlecht ist an einem einzigen Witz aus einer seiner Novellen mehr gelegen als an der ganzen Gelehrsamkeit und Ehrbarkeit seines ehrenvollen Alters.

    Ü ber die Dichtergröße des Boccaccio, welchen
          man gerne den dritten unter den großen italienischen Poeten nennt, steht in vielen Büchern viel geschrieben, was alles zu wiederholen nicht vonnöten ist. Er war unter denen, welche jemals kunstgerechte Novellen verfaßt haben, nicht nur der Erste, sondern indem er diese scheinbar geringe Kunst früher als irgendein anderer betrieben, ja eigentlich erfunden hat, übte er sie sogleich mit einer solchen Vollendung aus, daß er von keinem seiner unzähligen Nachfolger übertreffen oder auch nur erreicht werden konnte. Nicht weniger groß ist aber sein Verdienst um die italienische Sprache, welche er nicht etwa nur verschönert und ausgeschmückt, sondern in gewissem Sinne eigentlich neu geschaffen hat. Denn obwohl schon lange vor ihm der Florentiner Dante das größte und schönste italienische Gedicht verfaßt hat, war doch das Gebiet der Erzählung und die Prosasprache überhaupt noch von keinem mit einiger Kunst gepfegt worden, indem die Gelehrten häufg lateinisch geschrieben hatten. Die mündliche Sprache des Volks, welche in Florenz mit besonderer Schönheit und Reinheit gebraucht wird, hat Boccaccio als der erste in seinen Erzählungen mit ihrer natürlichen Anmut und Mannigfaltigkeit verwendet und zugleich mit so großer Kunst gepfegt, daß sie in seinen Händen sich in etwas ganz Neues und Herrliches verwandelte.
    In den Büchern des Dekameron zu lesen, ist für ei
    nen, welcher seine Lust an einer schönen und lebendigen Sprache hat, nicht anders als ein Wandeln unter blühenden Bäumen und als ein Baden in einem reinen Gewässer. Die Worte klingen so frisch, als wären sie soeben erschaffen und vorher noch in keinem Munde gewesen; in jedem kleinen Satze springen klare, lachende Quellen auf, und die Sätze tanzen bald leicht und zierlich, bald rollen sie tönend und wohllaut
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