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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
Autoren: Hermann Hesse
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hin. Vielen will es scheinen, es habe Boccaccio zuweilen seiner Sprache Gewalt angetan, und es mag ein wenig Wahrheit daran sein. Während er die Worte aus der Sprache des Volkes von Gassen und Märkten nahm, bildete er hinwieder den Bau seiner Perioden vornehmlich nach dem Muster der römischen Redner und Autoren, zumal des Cicero, den er ungemein verehrte.
       Dadurch mag vielen, auch wenn sie der heutigen italienischen Sprache mächtig sind, das Lesen des Dekameron ein schweres und mühsames Werk erscheinen. Allein es ist nicht nur der Anfang dieses Buches der langen Perioden wegen schwieriger zu lesen als die Folge, sondern es pfegen ohnehin nach einigen Versuchen die meisten an dieser Sprache ein solches Gefallen zu fnden, daß sie schnell einige Übung darin erlangen. Und vornehmlich darf derjenige, welchem etwa das Lesen des Dante zu schwerster Mühsal gereichte, so daß er ermüdet davon abließ, durchaus nicht fürchten, hier auf dieselben Schwierigkeiten zu stoßen. Kurzum, wer einigermaßen italienisch versteht, möge sich nicht scheuen, das Dekameron im originalen Texte zu lesen. * Sobald er nur einige Übung erlangt hat, wird ihm über den Seiten dieses Buches sein, als höre er Vögel zwitschern, Kinder lachen und Wasser rauschen, eine solche innere Kraft und freudige Lebensfülle ist in dieser Sprache verborgen.
       Was das Dekameron als Dichtung anbelangt, so ist es überaus merkwürdig zu sehen, wie alle Kräfte und Vorzüge des Dichters, welcher ja auch eine nicht geringe Zahl von anderen Werken geschrieben hat, in diesem einen Hauptwerke sich schön und harmonisch vereinigen. Die früheren, allmeist in Neapel entstandenen Dichtungen des Meisters handeln fast ohne eine einzige Ausnahme von der Liebe, und die Erzählung Fiammetta ist bei weitem die schönste unter ihnen. Jedoch weiß in allen diesen Dichtungen Boccaccio nichts anderes darzustellen als seine eigenen Gefühle und Liebesgedanken, ohne genügende Mannigfaltigkeit, und die Verse, soweit es sich um solche handelt, sind mit großem Fleiße, aber geringer Erfndungskraft dem Muster des Petrarca nachgeformt, wie denn stets die jungen Poeten solche Berühmtere nachzuahmen bestrebt waren. Von diesen Dichtungen erwecken mehrere eine Ah

    * Wodurch aber niemand von der Lektüre einer Übersetzung abgeschreckt werden soll! Vor den zahlreichen verkürzten und verstümmelten Ausgaben aber sei dringend gewarnt! Das Dekameron muß notwendig unverkürzt gelesen werden. Zur Zeit ist die einzige vollständige, übrigens ganz vortrefiche deutsche Übersetzung die von Schaum, deren neue Ausgabe in drei Bänden 1903 im Insel-Verlag in Leipzig erschienen.
    nung von seinem späteren Werke, als habe die Idee desselben ihm schon längere Jahre am Herzen gelegen.
       Aber wie ein frischer und tüchtiger Mann erst in den Jahren der völligen Reife die schwere Kunst des Lebens lernt, die darin besteht, daß der einzelne Mensch seine Schicksale und Gefühle gleich der Welle im Meer ansehen und mit heiterer Bescheidenheit im größeren Leben der Gesamtheit verbergen kann, so besann sich auch dieser Boccaccio erst in späteren Jahren, als schon die Leidenschaft seiner Jugendzeit verglommen war, auf alle seine Kräfte. Was er von Kind auf, aus seiner Bastardkindschaft her, und alsdann in Florenz und Neapel und auf manchen Reisen erfahren hatte, wurde nun zu plötzlicher Klarheit erhoben und im stillen entbunden. Nicht weniger die Leiden und die Wollust der Frauenliebe als der Zauber des Reisens und Schauens, die Erlebnisse und Sitten der Studenten ebenso wie die Sorgen und Plagen der Kaufeute, die Gebräuche, Tugenden und Laster derer, die bei Hofe und die in der Wechselbank und die auf den Märkten oder zu Schiffe leben und ihr Brot zu erwerben suchen, die Eigenschaften der Narren wie der Weisen, die Lebensart der Priester, der Richter, der Soldaten, der Seefahrer, der Frauen, der Dirnen sowie alles Ernste, Schöne, Seltsame, Lächerliche und Traurige des menschlichen Lebens, soweit nur jemals ein Mensch es erfahren und beobachtet hat – dieses alles zog er nun aus seinem Gedächtnisse hervor.
    Gewißlich sind von den hundert Erzählungen des Buches Dekameron nur sehr wenige von Boccaccio selbst erfunden worden. Vielmehr hatte er die einen erzählen hören, die anderen selbst erlebt oder sich zutragen sehen, andere auch aus alten Sagen und Liedern und Fabeln genommen. Nur ein Tor möchte wünschen, er hätte sie alle selbst sich ausgedacht. Im Gegenteil ist
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