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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
Autoren: Hermann Hesse
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anzurichten vermögen. Dazu kommt, daß neben diesen anderen so viele Geschichten voll Reinheit und Edelsinn stehen, ja auch unter denen, welche ausschließlich von der Liebe handeln, fnden sich nicht wenige Beispiele von seltener Keuschheit, Treue und Ehrbarkeit. Überdies war der Meister ehrlich genug, jeder Geschichte ihren kurzen Inhalt in Überschriften voranzu stellen, so daß, wer gewisse Dinge verabscheut, die davon handelnden Novellen ungelesen überschlagen kann.
    Ein besonderer Vorwurf wird ungerechterweise dem Dekameron darüber gemacht, daß die einzelnen Geschichten von Erzählern beiderlei Geschlechts berichtet werden und daß die jungen Damen nicht nur manche derbe Posse mit anhören, sondern auch selbst solche erzählen. Mir ist zwar nicht bekannt, weshalb die Frauen so viel mehr als die Männer vor jenen Dingen Scheu haben sollten, auch kann man jeden Tag sehen, daß dem in Wirklichkeit nicht so ist; dennoch hat auch hierfür der Meister sich fein und deutlich entschuldigt, indem fast jede Novelle im Beginn oder am Schlusse einleuchtend erklärt, warum und in welcher Absicht sie erzählt sei. Die Einführung der Erzählungen heiklen Inhalts hat Boccaccio auf eine ungemein heitere und kluge Weise gegeben. Unter den drei Jünglingen der Gesellschaft befndet sich einer namens Dioneus, ein Witzemacher, Spötter und Schalk vom reinsten Wasser. Dieser nun ist der erste, welcher am ersten Tage es wagt, eine sogenannte saftige Geschichte vorzutragen, und er behält sich das Recht vor, ohne Zwang jedesmal gerade das zu erzählen, was er im Augenblick besonders unterhaltend fände. Dieser Dioneus fährt denn auch stets, ohne sich sonderlich an das vorgeschlagene Thema zu halten, in der begonnenen Art fort, und unter den zehn von ihm erzählten Novellen sind nur zwei, die nicht anstößig wären, und auch von diesen beiden ist noch die eine,

    Erste Posse des Dioneus

    obwohl frei von Liebesabenteuern, voll von anderen kräftigen Scherzen und Spöttereien.
    Die erste von Dioneus erzählte Posse, worin ein Mönch sich in die Liebe einer Dirne mit dem Abte teilt, erregt bei den Damen Erröten und Schelten. Allmählich wagen es nun auch die beiden anderen Jünglinge, ähnliches vorzutragen, bei den Mädchen überwiegt bald das Gelächter den Unwillen, und nach und nach entschlüpft auch ihnen da und dort eine derbe Historie, bis am Ende die Scheu ganz überwunden ist und alle ihren natürlichen Eingebungen folgen, so daß zuletzt auch von den Damen jede wenigstens eine oder zwei derartige Anekdoten zum besten gegeben hat. Dioneus freilich bleibt hierin obenan, nicht nur was die Anzahl, sondern auch was die Stärke seiner Possen betrifft. Welcher Novelle in dieser schlimmen Hinsicht der Vorrang gebühre, mag jeder für sich entscheiden. Aber auch davon abgesehen, daß alle diese von der sinnlichen Liebe handelnden Stoffe mit vieler Schönheit und Kunst vorgetragen werden, sind Reden und Benehmen der zehn jungen Leute im übrigen so ehrbar und tadelfrei, daß man wohl sehen kann, wie Reden und Tun zweierlei Dinge sind und wie Freimütigkeit sich mit guter Sitte sehr wohl verträgt. Darin könnte sogar mancher von den Erzählern der hundert Novellen viel Nützliches lernen.
    Im Ernst möchte ich keinem klugen Leser raten, die unanständigeren Novellen des Dekameron völlig zu überschlagen. Wer selbst von guter und reinlicher Natur ist, wird gewiß das wirklich Unsäuberliche von selber liegen lassen. Davon abgesehen, offenbart sich aber gerade in einigen der derberen Geschichten die Art des Boccaccio am besten, so daß man in ihnen ebenso die große Anschaulichkeit und Wahrheit der Darstellung wie die Lebendigkeit der Sprache bewundern muß. Es sind von alters her die Florentiner in Witzworten, Anspielungen und schalkhaften Wendungen der Rede sehr geübt gewesen und sind es auch heute noch in hohem Grade. Da nun Boccaccio in jenen Anekdoten und Possen durchaus dieselbe Sprache redet wie das forentinische Volk auf der Gasse, zeigen dieselben ihrem Inhalte zum Trotz häufg eine Anmut und Natür lichkeit, welche fast nie von anderen Schriftstellern erreicht wurde.
       Wer noch weiteres zur Verteidigung des armen Giovanni gegen fromme Vorwürfe für notwendig hält, möge seine eigenen Rechtfertigungen lesen, welche am ausführlichsten in der Einleitung, sowie in der Vorrede zum vierten Tage und im Epilog sich fnden. Wohl dem, der dessen nicht bedarf und sich frohen Herzens des dargebotenen reichen Genusses
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