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Blutsvermächtnis (German Edition)

Blutsvermächtnis (German Edition)

Titel: Blutsvermächtnis (German Edition)
Autoren: Kathy Felsing
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Instinkt riet zur Flucht, aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Ein Hüne schob seine langen Beine einer Faltschachtel gleich aus dem vorderen Wagen. Auch er trug eine Militäruniform. Abzeichen zeugten von einem weit höheren Rang als dem der anderen Soldaten. Bis auf einen Pistolengurt um die Hüften schien der Koloss unbewaffnet, die Luft um ihn herum vibrierte allerdings, als umgäbe ihn die elektrisch aufgeladene Sphäre eines Kampfroboters. Zielstrebig stampfte er auf sie zu und verharrte wenige Inches vor ihr. Wenngleich sie nicht klein war, musste sie den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Es kostete eine gehörige Portion Kraft, vor diesem Klotz zumindest den Anschein von Selbstbeherrschung und Furchtlosigkeit zu bewahren. Knoblauchdunst, gemischt mit saurer Milch und dem Gestank nach Lamamist schlug ihr entgegen. Nicht nur der scheußliche Mief, auch eine Welle Antipathie ließ sie den Atem anhalten, bis ihre Lungen brannten und sie zum Luftholen zwangen.
    Ihr Gegenüber musterte sie ungeniert vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen und verlor kein Wort. Sie kam sich vor wie in einem Kernspintomografen, als durchleuchtete der Typ ihr Innerstes mit seinen stahlgrauen Augen, in denen nicht der Funke einer freundlichen Gefühlsregung lag. Als das Schweigen unangenehm zu werden drohte, räusperte sie sich und fragte auf Spanisch:
    „Was führt Sie hierher, Major?“ Sie hoffte, dass die Anrede angemessen war, hatte sie doch keine Ahnung vom chilenischen Heer und dessen Dienstgraden. Vielleicht hätte sie besser General sagen sollen. Generalmajor? Sie war ratlos und wollte nicht fortwährend von diesem rüden Blick in eine mittlerweile peinliche Stille festgefroren werden.
    „Coronel Varela. Ich nehme an, Sie sind Ms. Nevaeh Morrison?“, antwortete er und missachtete ihre höfliche Geste der Anwendung der Landessprache. Er schürzte den Mund zu einem verächtlichen Kräuseln.
    Sein Englisch war wie Pistolenschüsse, allerdings glasklar und dialektfrei über die blassen Lippen geschossen. Sogar ihren außergewöhnlichen Vornamen sprach er korrekt aus.
nə-vay
, das
ə
wie das a in „comma“, das ay weich wie „face“. Nawey, Nawei. Manche sagten
na-vay-ə
, was auf Deutsch klang wie „Na weia“.
    „So ist es. Und womit kann ich Ihnen helfen?“
    „Ich muss Sie bitten, mich zu begleiten.“
    Nevaeh meinte, für einen Moment einen Herzaussetzer zu spüren, dann beschleunigte sich ihr Pulsschlag, angepeitscht von einer Woge Adrenalin. Ihr schwebte nicht die leiseste Idee vor, was der Auftritt zu bedeuten hatte.
    Der Coronel musterte sie schroff. Keinerlei Begründung, kein weiteres Wort. Wie ein warmherziges Gesuch hatte sich sein Tonfall nicht im Entferntesten angehört. Er wandte sich mit einem Ruck ab, ein winziges Zucken seiner Hand, und seine Leute strömten aus, trieben die verängstigten Atacameños zu einer dicht gedrängten Gruppe zusammen und die vier Wissenschaftler, die außer ihr im Camp geblieben waren, führte man zu den beiden hinteren Jeeps. Trotz ihres zitternden Atems gab sie den Kollegen ein beruhigendes Handzeichen, versuchte, ihrer Aufgabe als stellvertretende Expeditionsleiterin gerecht zu werden und ihnen Gelassenheit und Zuversicht zu vermitteln, die sie selbst dringend benötigte. Sie spürte, dass sie diesem Kerl deutlich mehr Haltung und Courage demonstrieren musste. Mr. Terminator ergriff ihren Ellbogen und dirigierte sie zu dem vordersten Militärfahrzeug. Jede Diskussion, jeglicher Versuch, sich zur Wehr zu setzen, schien zwecklos. Dennoch unternahm sie einen Vorstoß.
    „Coronel Varela, was in Gottes Namen soll das? Wir sind freie Bürger der Vereinigten Staaten. Sie dürfen nicht …“
    „Schweigen Sie!“
    Der barsche Ton rieselte ihr frostklirrend die Wirbelsäule hinab. Noch vor wenigen Minuten hatte sie diese Kälte ersehnt, allerdings nicht den Krampf, mit dem sich ihr Innerstes zusammenzog.
    „Sie werden früh genug erfahren, worum es geht.“
    Jetzt filterte sie doch einen fremdartigen, kehligen Klang aus der Sprache des Soldaten. Offenbar hatte er sich nicht vollkommen unter Kontrolle. Kleine rote Flecken der Aufregung an Varelas Hals untermauerten ihre Annahme. Sie schöpfte Mut. Ganz so überlegen, wie er sich gab, war der Mann womöglich nicht. Vielleicht erledigte sich das Problem bereits in Kürze, wenn sie Rückgrat zeigte. Darlegte, dass sie nichts zu verbergen hatten. Und vorausgesetzt, dass man keine schwerwiegenden
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