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Blutspiele

Blutspiele

Titel: Blutspiele
Autoren: Iris Johansen
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klingelte. Jane.
    Sie wartete ein paar Sekunden, bis sie sich wieder gefasst hatte, dann ging sie an den Apparat. »Ich habe nicht damit gerechnet, schon so bald von dir zu hören.«
    »Sie haben es geschafft, das andere Flugzeug zu reparieren. Jetzt steige ich gerade ein. Soll ich mir einen Mietwagen nehmen?«
    »Sei nicht albern. Ich bin schon unterwegs. Wir treffen uns an der Gepäckabholung.«
    Jane schwieg einen Augenblick. »Du hörst dich seltsam an. Ist alles okay?«
    »Natürlich. Und wenn ich dich sehe, wird’s mir noch besser gehen. Bis gleich.«
    Selbstverständlich konnte Jane ihre Stimmung auch aus der Ferne einschätzen. Eve zögerte und warf einen Blick auf die geschlossene Schlafzimmertür. Nein, sie würde nicht hineingehen und Joe sagen, dass sie jetzt zum Flughafen fuhr. Er hatte diese Tür fest und endgültig hinter sich zugemacht. Sie würde ihm Zeit geben, in der Hoffnung, dass die Drachen, von denen er gesprochen hatte, in der Dunkelheit wieder davonschlichen.
    Sie verließ das Haus und rannte die Verandatreppe hinab zum Auto. Aber in ihren Augen brannten Tränen, und sie brauchte einen Moment, ehe sie losfahren konnte. Sie umklammerte das Lenkrad und starrte blindlings in die Dunkelheit.
    Die Ursache von Joes Schmerz war Eves Besessenheit, den Mörder ihrer Tochter zu finden. So viele Jahre ging diese Jagd nun schon, und sie quälte ihn. Eve durfte nicht erwarten, dass er ihre Gefühle wirklich begreifen konnte. Er hatte nie ein Kind gehabt. Als Jane nach einer Reihe von Pflegefamilien zu ihnen kam, war sie bereits zehn Jahre alt und viel lebensklüger, als ihr Alter vermuten ließ. Sie war ihnen eine Freundin geworden, nicht ihr gemeinsames Kind. Die wundervolle Erfahrung, ein kleines Mädchen aufzuziehen, hatte Joe im Gegensatz zu Eve nie machen dürfen. Deshalb würde er nie verstehen, warum Eve nicht aufhören konnte.
    Weil die Erinnerung an Bonnie nie aufhörte. Der Abend, bevor Bonnie entführt wurde, war in Eves Gedächtnis so frisch, als wäre es erst gestern geschehen.
     
    In ihrem gelben Pyjama mit den orangefarbenen Clowns kam Bonnie in Eves Schlafzimmer gerannt. Ihre wilden roten Locken flogen, und in ihrem Gesicht strahlte ihr vertrautes Lächeln.
    »Mama, Lindsey sagt, ihre Mutter hat ihr erlaubt, dass sie morgen in ihrem Goofy-T-Shirt zum Schulpicknick kommt. Kann ich mein Bugs-Bunny-T-Shirt anziehen?«
    Eve blickte von dem Literatur-Lehrbuch auf, das vor ihr auf dem Schreibtisch lag. »Es heißt nicht kann, sondern darf, Kleines. Und ja, du darfst Bugs morgen anziehen. « Sie lächelte. »Wir wollen doch nicht, dass Lindsey dich in den Schatten stellt. «
    »Das wäre mir egal. Sie ist meine Freundin. Du hast gesagt, wir sollen für unsere Freunde immer das Beste wollen. «
    »Ja, das stimmt. Und jetzt ab ins Bett. «
    Bonnie rührte sich nicht. »Ich weiß, dass du für die Prüfung lernst. Aber liest du mir noch eine Geschichte vor?« Schmeichelnd fügte sie hinzu: »Ich meine, eine ganz, ganz kurze Geschichte?«
    »Deine Großmutter liest dir gern Geschichten vor, Kleines. «
    Bonnie kam näher und flüsterte: »Ich habe Oma ganz lieb. Aber es ist viel schöner, wenn du mir vorliest. Nur eine ganz kurze …«
    Eve warf einen Blick auf ihr Lehrbuch. Sie musste noch so viel für die Prüfung lernen, dass sie bis nach Mitternacht wach sein würde. Dann sah sie Bonnie an. Ach, was soll’s. Schließlich war Bonnie der Grund, weshalb Eve überhaupt studierte. Sie war der Grund für alles, was Eve in ihrem Leben tat. Warum sollte sie sich und ihre Tochter anlügen? »Na, dann lauf und such dir ein Buch aus. « Sie schob das Lehrbuch zur Seite und stand auf. »Es muss auch keine kurze Geschichte sein. «
    Bonnies Strahlen hätte den Times Square hell erleuchten können. »Nein, ich verspreche …« Sie rannte aus dem Zimmer. Sekunden später war sie mit einem Buch von Dr. Seuss wieder da. »Das geht ganz schnell, und ich mag die Reime. «
    Eve setzte sich in den blau gepolsterten Schaukelstuhl, den sie hatte, seit Bonnie auf der Welt war. »Kletter rauf. Ich mag Dr. Seuss auch. «
    »Das weiß ich doch. « Bonnie krabbelte auf ihren Schoß und kuschelte sich an. »Aber weil es so ein kurzes Buch ist – darf ich auch noch mein Lied haben?«
    »Ich denke, das ist ein vernünftiger Wunsch« , antwortete Eve ernsthaft. Die beiden hatten kleine Rituale; seit Bonnie ein Kleinkind war, sangen sie jeden Abend gemeinsam ein Lied. »Was für eines singen wir denn heute?«
    »›All the
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