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Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern
Autoren: Jackson Pearce
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Finger die Schultern des anderen erkunden, wann immer Scarlett nicht hinschaut. Ich will beide Arme um ihn schlingen und stundenlang mit ihm auf der Couch liegen, aber Scarlett … Nur weil sie es weiß, nur weil sie nichts über uns sagt, bedeutet es nicht, dass sie nicht irgendetwas findet, um sich damit zu beschäftigen, wenn wir uns berühren. Oder dass sie plötzlich einen Grund findet, aus der Tür zu stürmen, wenn wir uns aneinanderkuscheln, um uns zu küssen.
    »Sie wird darüber hinwegkommen, Rosie«, versichert mir Silas eines Tages, als wir zusehen, wie Scarlett die größtenteils ruinierten Kartoffeln im Garten ausgräbt.
    Es ist Abend, und Glühwürmchen blinken um den Hof wie lebende Weihnachtskerzen. Der Tisch draußen ist gedeckt – mit Oma Marchs’ altem, ramponiertem Geschirr. Die Schüsseln sind gefüllt mit vielen Gerichten nach ihren alten Gartenrezepten. Kartoffelpüree mit süßer Butter, gefüllte grüne Paprika, Wassermelone, geschnitten in süße rosafarbene Würfel. Selbst das Essen schmeckt hier besser, als hätte dem, was wir in der Stadt gegessen haben, etwas Wesentliches gefehlt.
    »Können wir essen?«, fragt Scarlett und steht auf, als Silas und ich die Gittertür auftreten und sie hinter uns zufallen lassen.
    Sie hat schon vor Wochen die Verbände von ihren Schultern gerissen, und nun bedecken neue, leuchtend rosafarbene Narben ihre Haut, als ob sie nur einen schlimmen Sonnenbrand gehabt hätte. Meine Beine sind fast vollständig verheilt, und ich muss zugeben, dass ich ein bisschen stolz auf die wenigen verstreuten Brandnarben bin, die übrig geblieben sind. Silas und ich gleiten auf die glatte hölzerne Picknickbank, und Scarlett gesellt sich auf der anderen Seite des Tisches dazu. Wir sprechen nicht, sondern bedienen uns einfach. Scarlett schaut auf den Mond hinter ihr, der voll und beeindruckend weiß am Himmel steht. Als sie sich wieder zu mir umdreht, begegnen sich unsere Blicke einen Moment lang.
    Und da sehe ich es.
    Ich wusste, dass es zurückkehren würde, nur nicht, wann. Der Blick, das
Bedürfnis
umherzustreunen, das ich in den Augen meiner Mutter gesehen habe. Es spiegelt sich wider in Scarletts Blick, und es ist eindeutig die Jagd, die sie antreibt. Ich habe nie angenommen, dass sie aufhören würde, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder anfangen würde zu trainieren, in der Nacht zu jagen, Mullbinden und parfümierte Seife zu kaufen und unser neu gewonnenes Wissen über Welpen zu nutzen, um sie aufzuspüren. Es ist keine Krankheit – mir wird klar, dass es eine Passion ist. Die Passion zu jagen, genau wie ein Maler malen und ein Sänger singen muss. Es ist ihr Blut und ihr Herz.
    Wir müssen nichts sagen. Ich lasse das Stück Wassermelone in meiner Hand fallen, und Scarlett steht langsam auf, weil es uns
beiden
klar ist. Wir wissen alle beide, dass das Licht existiert und es keinen Sinn hat, sich vorzumachen, die Schatten wären real. Ich schwinge meine blanken Beine unter dem Picknicktisch hervor, Scarlett tut es mir nach, wie mein Spiegelbild, und wir treffen uns am Kopf des Tisches, schlingen unsere Arme umeinander und atmen den Geruch des Haares der jeweils anderen ein, während uns Silas still und verwirrt beobachtet.
    Meine Schwester hat das Herz einer Künstlerin, einer Künstlerin mit Beil und Augenklappe. Und ich, wir
beide
wissen jetzt, dass ich ein Herz habe, das unzweifelhaft und irreparabel anders ist.

[home]
Epilog
    Ein Märchen, sieben Monate später
    D ie beiden Schwestern gehen langsam. Ihre Arme sind von Taschen beschwert, und die Nachmittagssonne brennt ihnen gnadenlos auf den Nacken. Scarlett bleibt stehen, um eine Handvoll Wechselgeld in den Eimer eines Straßentrommlers zu werfen, während Rosie innehält, um das Geld in ihrer Tasche zu zählen. Die Gedanken der Schwestern drehen sich umeinander, wie sie es die meiste Zeit über tun. Sie erreichen ihr Ziel zur selben Zeit – Rosie den Bahnsteig eines Bahnhofs, mit ihrem Gepäck im Schlepptau, während Scarlett einen der Junkies bittet, ihr die Apartmenttür aufzuhalten.
    Vor Scarletts Tür liegen einige Briefe, und es sieht so aus, als wären sie bereits von jemandem durchsucht worden. Sie nimmt, was noch übrig ist – die wichtigen bleiben irgendwie fast immer liegen. Diejenigen von Rosie. Sie tritt die schwere Holztür auf, lässt ihre Tüten direkt hinter der Schwelle fallen und reißt den ersten Briefumschlag auf.
    In geschwungener Handschrift teilt Silas ihr mit, dass
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