Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutige Seilfahrt im Warndt

Blutige Seilfahrt im Warndt

Titel: Blutige Seilfahrt im Warndt
Autoren: Elke Schwab
Vom Netzwerk:
Remmark resistent gegen ihre Argumente war. Sie ging weiter und schaute sich um. Die Verschachtelungen unter Tage, die Löcher, in denen alles im schwarzen Nichts verschwand, all das erregte ihr Interesse weitaus mehr als ein querköpfiger Hitzkopf. Höhlen waren schon immer ihre Leidenschaft gewesen. Und wenn sie es sich genau anschaute, hatte eine Grube einen gewissen Höhlencharakter.
    Plötzlich stieß sie auf eine Stahltür. Sie trat darauf zu und fragte: »Was ist hinter dieser Tür?«
    »Eine alte Gezähekammer.«
    »Was ist eine Gezähekammer?« Ann-Kathrin stutzte.
    »Eine Gezähekammer ist ein Raum, in dem wir das Arbeitsmaterial lagern, das wir nicht ständig mit uns tragen können«, antwortete Remmark. »Diese Kammer ist der Anfang einer vorzeitig eingestellten Strecke. Dort sind wir nur einige Meter vorgestoßen, bis die Planungsabteilung die Arbeiten wegen des Abbaustopps beendet hat.«
    »Also sowas wie eine Sackgasse?«
    »Genau. Am Montag, wenn die Auszubildenden das erste Mal unter Tage arbeiten, lasse ich sie diesen Eingang zumauern.«
    »Wofür werden die Männer überhaupt noch ausgebildet?«
    »Sie können mit den Fertigkeiten, die sie hier lernen, in Gruben im Ruhrgebiet sofort zu arbeiten beginnen – solange die Gruben dort noch in Betrieb sind. Oder ins Ausland gehen.«
    Ann-Kathrin setzte ihren Weg fort. Die beiden Männer folgten ihr, bis sie auf eine Heiligenfigur in einer Wandnische stießen. Darunter standen die Namen: Karl Fechter und Winfried Bode.
    »Was ist den beiden passiert?«, fragte sie.
    Remmark schnaubte und schob sich das nächste Stück Kautabak in den Mund. Hektisch bewegte er seine Kiefer, als er antwortete: »Dort ist vor Jahren ein Stollen eingebrochen.«
    »Wann war das?«
    »Vor elf Jahren – im Herbst 1999«, antwortete Remmark. »Haben Sie nichts von dem Unglück gehört?«
    Ann-Kathrin überlegte eine Weile. »Gehört schon. Ich kann mich aber nicht mehr an Einzelheiten erinnern.«
    »Mehrere Bergleute sind hier verschüttet worden. Alle konnten nur noch tot geborgen werden.« Eine kurze Pause entstand, dann fügte Remmark an: »Bis auf diese beiden.«
    Die Stille, die nun folgte, war bedrückend.
    »Gehörten diese beiden Kameraden zu Ihrer Gruppe?«, fragte Schnur.
    »Eher umgekehrt. Fechter war vorher der Steiger und ich gehörte zu seiner Partie. Winni Bo war Streckenhauer. Er hing immer mit Fechter zusammen.«
    »Winni Bo?«, fragte Schnur staunend.
    »So nannten wir Winfried Bode, weil wir schon einige Winnis hatten und Verwechslungen vermeiden wollten«, erklärte Remmark.
    »Und was ist mit den Leichen?«
    »Sie konnten trotz erheblichen Aufwands nicht gefunden werden. Keine Spur von ihnen.« Remmark spuckte. »Sie waren so tief verschüttet, dass wir sie dort liegen lassen mussten. Deshalb haben wir eine Statue der heiligen Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, an dieser Stelle angebracht – als Gedenkstätte sozusagen.«
    Das nahm Schnur zum Anlass, wieder auf den eigentlichen Grund zu sprechen zu kommen, weshalb er überhaupt in diesen tiefen unterirdischen Katakomben umherirrte: »Okay. Wir sind aber hier, um den Fall unseres Toten in luftiger Höhe zu bearbeiten. Wir sollten also weitergehen!« Er wollte so schnell wie möglich wieder an die Oberfläche zurückkommen.
    Einige Zeit schritten sie zu dritt die Strecke entlang und sprachen kein Wort. Bis Remmark schließlich am Schacht stehenblieb und auf ein Gitter zeigte.
    »Hier!«
    Bei genauem Hinsehen konnte Schnur über dem Gitter eine Schiene erkennen, auf der Rollen liefen, an denen das Gitter befestigt war. Zwischen den unregelmäßigen Eisenstäben konnte man deutlich das Stahlseil erkennen.
    Schnur schaute sich um. In einiger Entfernung sah er einen Bergmann, der mit zügigen Schritten in der Dunkelheit verschwand. Ein anderer trat aus einem Seitenstollen und verschwand wieder auf der gegenüberliegenden Seite.
    »Warum ist es hier so ruhig?«
    »Weil hier nicht gearbeitet wird. Allerdings herrscht zum Schichtwechsel hier Hochbetrieb.«
    Schnur nickte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schachttür. »Sieht nicht so aus, als könnte jemand zufällig durch das Gitter fallen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Dass es kein Unfall war. Jemand muss das Gitter geöffnet haben.«
    »Niemand hat das Gitter geöffnet«, widersprach Remmark.
    »Was macht Sie so sicher?«
    »Wenn das Gitter geöffnet wird, bekommt unser Fördermaschinist über Tage ein Warnsignal, damit er den Korb nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher