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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Liebert
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Auch ihn hatte allmählich das Gefühl beschlichen, dass mit der Richtung etwas nicht stimmte. Fürs erste war es ratsam, dies Missgeschick einzugestehen. Aber dies musste so teuer wie möglich verkauft werden. Ein Stück weit den Überlegenen markieren, nur ein bisschen – dann war seine Autorität zwar immer noch ramponiert, aber nicht zerbrochen.
    Ihm blieben nur wenige Sekunden. »Durchzählen!«, rief er so forsch wie möglich. Geräuschvolles Ausspucken und Flüche waren die Antwort, trotzdem fing der erste an, dem Zählappell Folge zu leisten. Aber so sehr Jobst Brüssler auch nachdachte, ihm fiel nichts ein. Die kleine Kapelle, die er in ziemlicher Entfernung vor sich sah, war das einzige, das sich seinem leeren Kopf entgegenstellte.
    »Vierundzwanzig durch! Rast jetzt, Sergent!«, drang es mürrisch zu ihm. »Wenn sein Hengst pisst, dürfen wir’s erst recht!«
    »Teufel!«, schrie es in Jobst Brüssler auf und mit dem Mut der Verzweiflung blaffte er den Haufen an: »Wer schwitzt, pisst nicht! Vorwärts verdammt! Schlagt’s an der Kapelle ab!« Dann setzte er alles auf eine Karte, weil ihn urplötzlich eine Hoffnung beschlich: »Kapelle bedeutet hier immer Wegkreuz. Also nur halbe Scheiße mein Umweg! Eine Stunde Rast dort. Los, Bewegung!«
    Seine Rede zeigte Wirkung. Der Trupp marschierte weiter. Und offensichtlich hatten die Worte derart eingeschlagen, dass einer der Grenadiere wieder zu singen begann. Das uralte Landsknechtslied von den fünf Freuden: »Was macht das Leben schön, Kamerad?«, sang heiser der Vorsänger. »Nur das Fressen, ja! Nur das Saufen, ja! Nur die Weiber pudern, ja! Nur das Baden, ja!«, grölte der Rest und wartete, bis der Vorsänger mit dem Refrain begann, in den dann alle einfielen. »Aber schlafen, ja schlafen ist das Schönste auf der Welt! Nur schlafen, nur schlafen ist das Schönste auf der Welt!«
    Und Jobst Brüssler hatte Glück – bei der Kapelle zweigte ein Weg ab. Tatsächlich hatte er also etwas Vernünftiges zusammengedacht. Etwas, das für diesen Landstrich passte. Jobst Brüssler spuckte aus. Egal, was zählte, war allein der Weg und der führte nach Süden.
    »Sergent Jobst, er hat Sachsenglück!«, tönte wieder die gleiche Stimme wie vorhin. Und ein anderer rief: »Oder ist er Sergent geworden, weil er so gescheit ist, wie?«
    »Los, ihr stinkenden Koben!«, brüllte er zurück. »Ein Letztes jetzt! Unter dem Bäumchen da oben ist’s kühler. Rast dort!«
    5
    Es war nur ein kleiner Hain, der sich ein Stück weit oberhalb der ausgefahrenen Straße zwischen dem Rhein-Städtchen Burkheim und dem Dorf Oberrotweil dem Blick darbot. Ein lichter Eichenhain, wie er oft in der Landschaft anzutreffen war, ohne Unterholz oder anderes Gesträuch. Seit Generationen diente er als Hütewald und die Schweine, die in den Zeiten des Eckerich, im Herbst, nach Eicheln wühlten, ließen im Frühjahr bloß die derbsten Gräser und Unkräuter wieder auswachsen. Einst war er Teil eines stattlichen Eichenwaldes, da aber dieser nach Süden lag, hatte man schon vor Jahrzehnten viele Bäume gerodet und jetzt beherrschten Rebkulturen den sanft ansteigenden Hang.
    Selbst das flüchtige Auge bemerkte, dass rechts und links des Hains nicht der gleiche Rebbauer wirtschaften konnte. Standen nach Oberrotweil zu die Rebstecken ausgerichtet wie Grenadiere auf dem Exerzierplatz, staken sie auf dem Rebstück in Richtung Burkheim wie krumme Stifte eines zerschlagenen Rechens. Stritten hier schiefgeheftete Zuchtrute, nutzlose Gerten und wilde Schosse um den Weinstock, zeigte er sich dort ordentlich geschnitten, und das traubenbringende Holz war sorgfältig in die Höhe gezogen und an die kerzengeraden Rebstecken geheftet. Verwahrlost grenzte das eine, gepflegt das andere Rebstück an den Hain.
    Die Rebstücke »Am Eichberg« waren jedem Dörfler und Städter der näheren Umgebung bekannt. Aber nicht wegen ihres unterschiedlichen Zustands, sondern wegen des Eichenhains. Denn in ihm prangte mit der ganzen Würde ihres Alters die wohl mächtigste Eiche der Region, ein kolossaler Baumriese, der wie kein anderes Lebewesen den Dorfbewohnern Achtung abrang.
    Doch so alt die Eiche auch sein mochte, so zornig manche knochigen, ehemals vom Blitzschlag zerschmetterten Äste vom Tod kündeten – sie galt allen als schön. Nicht düster erhaben drohte sie mit ihrer Wucht, sondern heiter breitete sie ihre teils ebenmäßigen, teils verrenkten Haupt- und Seitenarme aus. In ruhigem Frieden stützte sich der Dom
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