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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Liebert
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dass dies sinnlos gewesen wäre und kindisch obendrein. Aber gerade hatte er sich ausgemalt, wie dies vielleicht irgendwelche Luftgeister erschrecken und reizen könnte. Rachelüstern würden sie dann vor ihm durcheinander toben und einen Schneesturm herbeizaubern, so wild, dass ihm die Flocken in den Mund flögen. Denn anders glaubte Jobst Brüssler, könnte seine Sehnsucht nach einer Erfrischung nicht befriedigt werden.
    Dabei hatte er es gut – im Sattel war diese Fronstrecke nach Breisach allemal leichter zu ertragen als zu Fuß. Bewundernswert war, dass seine Mannschaften nicht zusammenbrachen. Trotz schwerer Ausrüstung schleppten sie sich vorwärts. Doch Jobst Brüssler wusste seine Hochachtung gut zu verbergen, schließlich war er Sergent und sie nur einfache Grenadiere. Allerdings, wenn einer von ihnen zusammengebrochen wäre, er hätte dessen Gepäck ohne zu zögern auf sein Pferd gepackt. So etwas festigt den Zusammenhalt. Stolz auf sich konnte er allemal sein, denn von der tausend Mann starken Freiwilligen Sächsischen Dragoner- und Ulanenformation, die seit letztem Jahr auf französischer Seite gegen Österreich kämpfte, war er im Moment mit Sicherheit der einzige, der Soldaten der Hauptmacht befehligen durfte. Zwei Dutzend französische Grenadiere hatten ihm zu gehorchen, ihm, einem Sachsen!
    Schnell wie kein anderer hatte er sich mit dem Französischen vertraut gemacht, weshalb er schon von Beginn des Feldzuges an dem Straßburger Vorauskommando angehörte. Vor zwei Tagen hatte man ihn dem Sergent-Major Ludwig Heiteren, einem anständigen Elsässer, zugeteilt, zur Unterstützung, wie es schlicht hieß. Und der war von Limburg aus schon in der Frühe mit wichtiger Feldpost nach Breisach vorausgeritten und hatte ihm das Kommando übergeben.
    An und für sich eine nicht ganz ungefährliche Sache, so allein im fremden Land! Doch hier war kaum zu befürchten, dass etwas passierte. Schon gestern hatte ein 300 Mann starker Erkundungszug ohne eine einzige Kugel verschwenden zu müssen, vom linksrheinischen Neuf-Brisach nach Breisach übersetzen können: kein Österreicher war zu sehen gewesen. Sie hatten sich tatsächlich sämtlich in Freiburg verschanzt, Sergent-Major Heiteren hatte es richtig vorausgesehen.
    Trotzdem, warum um alles in der Welt musste es heute so schwül sein? Schließlich waren diese grobschlächtigen Grenadiere hier anstrengend genug. Wenn einer sich von ihnen unter den nächstbesten Baum hauen würde und Rast verlangte, war es vorbei mit Disziplin und Gehorsam. Die anderen würden sofort nachziehen und keine Drohung der Welt könnte sie dann bewegen, vor einer Stunde wieder aufzustehen. Dickschädelige Gewaltmenschen waren sie, die mit dem Bajonett so geschickt umzugehen verstanden wie der Priester mit dem Gebetbuch.
    Als verarmte Bauernburschen, verschlagene Findelkinder oder entlassene Landstreicher hatten sie sich unter dem Reglement der Königlichen Armee zusammengerauft und hingen wie Kletten aneinander. Mit dem Tod pflegten sie, wie sie in einem Lied sangen, um die Wette zu mähen, und außer Sold und Weibern interessierte sie nichts.
    Gelegentlich schlugen ihre Scherze über die Stränge, aber jeder Unteroffizier wusste, dass er sie da gewähren lassen musste. Vorhin zum Beispiel hatten sie an einem Dorfbrunnen mit ein paar lausigen Mägden poussiert, dann war ihnen plötzlich eingefallen, dass sie ja eigentlich auf feindlichem Boden waren. Also hatten sie den Mägden kurzerhand die Kleider runtergerissen und sich die Mädchen wie die Hühner zugetrieben. Dabei durfte jeder ein paar Mal ordentlich hinlangen. Ihre Röcke hatten sie dann in den Zieheimer gestopft und diesen heruntergelassen – zum richtig Nasswerden, wie sie spöttisch erklärten. Zum Glück waren sie anschließend wieder friedlich und hatten träge zugeguckt, wie die nackten Mädchen mit glutrotem Kopf ihre tropfnassen Röcke anzogen. Alles in allem eine glimpfliche Geschichte, da hatte es schon ganz andere Vorfälle gegeben.
    »Sergent!«, hörte Jobst Brüssler plötzlich in seinem Rücken. »Ich sag’ es ihm, die Richtung ist falsch! Er reitet Ost. Der Bursche vorhin hat gelogen!«
    »Und wie!«, rief ein anderer. »Drei Stunden sind es jetzt ohne Rast. Keinen Schritt mehr zuviel! Er braucht’s nicht krumm nehmen, Sergent Jobst. Sachsen ist weiter weg als Frankreich. Rast jetzt!«
    In den verschwitzten Gesichtern begann die Wut aufzusteigen. Jobst Brüssler wusste, dass er jetzt nichts falsch machen durfte.
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