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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Liebert
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um einen bequem zu erkletternden Ast zu suchen. Schon am frühen Abend hatten sie die Votivtafeln vom Stamm der Eiche gerissen und die weiße Wachsmadonna verfeuert, die in einem kleinen gemauerten Andachtsschrein jahrhundertelang Trost gespendet hatte. Jetzt konnte man ganz nebenbei dieses urwüchsige Heiligtum schänden, ein Einfall, der vor allem den Schweden gefiel.
    Zwei grobschlächtige Hünen packten den in wahnsinniger Panik um sich Schlagenden und schleiften ihn um den Stamm. Nur mühsam schaffte es der vorhin umjubelte Söldner, mit ihnen Schritt zu halten. Immer wieder setzte er, neben seinem Opfer torkelnd, die Weinflasche an, die er schließlich halbvoll auf den Priester schleuderte. Doch statt am Kopf des Priesters barst das Glas am Stamm der Eiche.
    Über den Andachtsschrein, der auf einen beinhohen Steinsockel gestellt war, konnte man leicht auf einen der mächtigen unteren Hauptarme der Eiche klettern, aber für die betrunkene Meute türmten sich diese geweihten Steine zu einem schier unüberwindlichen Hindernis. Gegenseitig behinderten sie sich in ihrem Eifer, der erste zu sein. Diejenigen, die es ein Stück weit geschafft hatten, wurden wieder heruntergezerrt und es dauerte lange, bis sich der Nüchternste durchgesetzt hatte und auf dem Ast hockte. Umso schneller war dieser Ast aber zum Galgen hergerichtet. Nur ein Ende des Strangs musste sicher geknotet werden, denn die schiefe Schlinge am anderen Ende starrte längst vom Todesschweiß Dutzender Gedrosselter.
    Inzwischen hatte das Gelärme Ausmaße angenommen, als wäre eine Massenschlägerei im Gange. Der Priester allein tobte für drei, mit der Kraft eines Wahnsinnigen. Zwei Mann hatten Mühe, den Nackten zu bändigen und prügelten schließlich derart auf ihn ein, dass andere ihnen in den Arm fielen. Denn was nützte ein Toter in der Schlinge. Weiden wollten sie sich ja am Gezappel des Priesters, an seinen grässlichen Zuckungen.
    Da plötzlich krachte ein Schuss. Kaum bemerkt waren zwei mit goldglänzendem Rock und Hose gekleidete Offiziere aus dem Dunkel getreten. Ein zweiter Schuss verscheuchte alle Zweifel und scharf schnitt die Stimme des schwedischen Kommandanten in den verebbenden Lärm. Seinem Adjutanten, einem jungen Franzosen, überließ er die Übersetzung. »Wer dem Subjekt da beim Hängen Gesellschaft leisten will, soll’s sagen. Der Ast ist stark genug für zwei.«
    In die plötzliche Stille drang das Stöhnen des Priesters, der zusammengekrümmt im Gras lag und unverständliche Worte von sich gab. Der Kommandant ging zu ihm hin, drückte mit seiner Stiefelspitze den Kopf etwas ins Licht und blickte kurz auf den Andachtsschrein. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, begann er darauf in gefälligerem Ton weiterzureden. Worte, die an den Betrunkenen vorbeirauschten, obwohl sie ihnen sofort übersetzt wurden. Sie begriffen nur, dass sie den da am Boden laufen lassen sollten. Und so war es ihnen vollkommen gleichgültig, dass ein Protestant befahl, diese tausendjährige Eiche nicht mit einem Mord zu schänden.
    ***
    Verstört von seinen Gesichten fuhr Godwan auf. Der Regen war wieder kräftiger geworden und von der kunstvoll geschichteten Pyramide nur noch eine gewöhnliche Feuerstelle übrig, mit glimmender Kohle, stiebender Asche und bläulich aufflackernden Scheiten.
    Die Grausamkeit der Bilder brachte Godwan erneut zum Beten, aber die Gedanken wollten sich nicht ordnen lassen, seine Lippen blieben stumm. Zu unverständlich waren die Eindrücke und Laute. Da war die frühlingshafte Naturentrücktheit mit der fremden Göttin in der ersten Vision, dann aber schon die grelle Verachtung ihrer Heiligkeit und ihres Priesters in der zweiten. Godwan konnte diesen Widerspruch nicht auflösen. Vielleicht aber gab es ja auch keinen, vielleicht stand alles für die immerwährende Grausamkeit und Willkür im Wandel der Zeiten. Tief bewegt wünschte er sich, das Feuer möge ihn ein weiteres Mal entführen – zu Bildern, die ihm Klarheit verschafften.
    Kaum noch spürte er die glühende Hitze des Feuers. Und so kroch er über den Rand der Asche und beugte sein Haupt zu den blauzüngelnden Flammen herab.
    4
    Es lag an der Luft. In ihrer Schwüle verschlang sie die kleinste Anstrengung und saugte einem das Mark aus. Atmen bedeutete an diesem 8. September 1744, dem Fest Mariä Geburt, mit Nase und Mund gegen eine unsichtbare Wand anzugehen. Sergent Jobst Brüssler hätte am liebsten den Säbel gezogen und um sich gehauen. Obwohl er genau wusste,
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