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Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Titel: Blutherz - Wallner, M: Blutherz
Autoren: Michael Wallner
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Kissen aufzuschütteln. »Traurig? Wie kommst du darauf?«
    »Du hast laut geseufzt.« Er lag nicht im Bett, sondern lümmelte in seinem hellblauen Pyjama auf dem Fensterbrett und baumelte mit den Beinen.
    »Du hast gute Ohren.«
    »Bei mir funktioniert alles gut, bis auf die Niere.« Er sprang zu Boden und stellte sich vor sie hin.
    »Deshalb solltest du dich gleich wieder hinlegen.« Sie lächelte über seine widerborstigen Haarwirbel.
    »Ich bin krank, aber nicht bettlägerig.«
    »Du bist vor allem vorwitzig.« Sie nahm ihn bei der Hand und brachte ihn zum Bett. »Hast du schon gefrühstückt?«
    »Kein Hunger.« Er ließ sich zudecken. »Warum bist du traurig?«
    » Kein Hunger gibt es hier nicht.« Sie steckte eine Haarsträhne unter die Schwesternhaube zurück. »Was möchtest du? Ich besorge es dir.«
    »Alles, was ich will?«
    »Fast alles. Wir sind eine besondere Abteilung.«

    »Dann will ich grünen Wackelpudding und ein Wassereis mit Mandarinengeschmack.«
    Sam schüttelte den Kopf; wie konnte sie so dumm sein, ihm ein solches Angebot zu machen? »Du kriegst deinen Wackelpudding, wenn du auch etwas Vernünftiges isst.«
    Statt einer Antwort nahm er den Haltegriff und zog sich daran hoch. »Irgendwann erzählst du mir ja doch, weshalb du traurig bist.«
    »Ich bring dir jetzt dein Essen.«
    »Lass dir ruhig Zeit«, sagte er. »Die holen mich gleich, um mich an die Maschine zu hängen.«
    Wieso fiel Sam der rosa Zettel neben dem Krankenblatt jetzt erst auf? DL13:00 stand darauf; DL bedeutete Dialyse . Samantha hasste diese Maschine, auch wenn sie den Patienten das Leben verlängerte. Was war das für eine grausame Art, fingerdicke Kanülen in einen Menschen hineinzustechen, ihm das Blut abzusaugen, durchzuspülen und wieder in ihn hineinzupumpen! Auch wenn es ihm danach für kurze Zeit besser ging, waren die meisten von der Prozedur so geschwächt, dass sie mit ihrem wiedergewonnenen Elan gar nichts anzufangen wussten.
    »Hast du das schon mal gemacht?«, fragte sie vorsichtig.
    »Einmal? Ich habe öfter an der Maschine gehangen, als ich Fußball gespielt habe.«
    »Dann bist du ein besonders tapferer Junge«, sagte Samantha ernst. »Wenn du es überstanden hast, bringe ich dir Wackelpudding und Wassereis.«
    »Mit Mandarinengeschmack.« Er drehte sich zur Seite.

5
    I n dieser Nacht plagte Sam nicht der Traum von der Frau im weißen Kleid, dennoch blieb sie von unerklärlichen Eindrücken nicht verschont. Es begann im Dahindämmern, sie lag auf dem Rücken, über ihr baumelte der Galgen, die Notbeleuchtung schuf Schatten und Gebilde. Da meinte sie plötzlich, an der Wand ein verschlungenes K zu entdecken. Sie versuchte, sich aufzurichten, aber eine unbekannte Trägheit ließ sie liegen bleiben, bis das K wieder verschwand. Sie schlief ein; nicht wie sonst, wenn sie sanft ins Reich der Träume hinüberglitt und Sorgen und Ängste versanken. Samantha fiel regelrecht in Schlaf, so als bemächtige sich ihrer eine tiefe Ohnmacht. Sie empfand Schutzlosigkeit, eine Art von Lähmung, dabei sah sie ein Gebilde, das dem Galgen über ihr ähnelte: Zum zweiten Mal erkannte Sam die Form des Buchstabens K . Sie bemerkte, dass noch andere Buchstaben dahinter lauerten; es schien, als ob diese Zeichen jemand hinmalte, der, obwohl weit weg, mit seiner Schrift den Weg zu Samantha fand. Sie sah ein abgrundtief rundes Loch und erkannte ein O darin. Der nächste Buchstabe ähnelte dem ersten, bis sie oben eine Rundung entdeckte, es war ein R . Schon schrie der nächste Buchstabe nach ihr, mit dem hellsten, reinsten Vokal: ein A . Dahinter türmten sich Zacken auf, wie das Dach eines düsteren Hauses, es stellte ein N dar. Neugierig, endlich den Sinn zu begreifen, spähte sie, was noch kommen würde, und sah ein verhangenes Y , steinalt und verwittert, als habe seit Urzeiten kein Mensch mehr ein Auge darauf geworfen. Zuletzt erstrahlte das vollkommene Gegenteil, ein modernes I , geformt aus Licht; wie eine Laserskulptur erhellte es die Buchstabenfolge.

    Kóranyi lautete das Wort, das den Weg durch die Nacht zu ihr gefunden hatte. Die Schlafende sah das Wort nicht nur, sie hörte es auch. »Kóranyi«, sagte eine Stimme. »Kóranyi!«, tönte und schallte es so laut, dass Sams Neugier sich in Angst verwandelte. Sie warf den Kopf hin und her, um das gefährliche Wort, diesen Namen aus ihrer nächtlichen Welt zu verscheuchen.
    »Es ist ein Name«, rief sie im Schlaf, öffnete die Augen und richtete sich auf. »Es ist sein
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