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Blutfeuer

Titel: Blutfeuer
Autoren: Helmut Vorndran
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öffnete sie behutsam. Im Zimmer
war das angestrengt keuchende Schnarchen eines alten Mannes zu hören.
    Der schwarz gekleidete
Fremde glitt leise durch den Raum und schloss das geöffnete Fenster, bevor er
durch das kleine Zimmer zurückging, bis er in der Mitte des Raumes stand. Dort
ließ er sich nieder und stellte den Metallbehälter vorsichtig auf den Boden. An
dessen Seite befand sich ein roter Knopf mit einem Schutzbügel aus Edelstahl.
Der Fremde entfernte Letzteren mit der linken Hand und drückte mit der rechten
den Knopf in die Dose hinein, auf dessen Oberfläche ein stilisierter Totenkopf
eingraviert war. Ein leises Klicken ertönte.
    In der Dose hatte sich
offensichtlich etwas geöffnet. Er spürte sofort, wie sie sich zu erwärmen
begann. Jetzt hatte er die Prozedur fast beendet und lächelte befriedigt. Mit
einer schnellen Bewegung und ohne zu zögern zog seine rechte Hand den schwarzen
Stift aus dem Mechanismus am Kopf der Dose, und sogleich konnte er ein leises
Zischen hören. Er stand auf und verließ schleunigst den Raum. Als er die Tür
hinter sich schloss, lächelte er abermals.
    Dann, wieder in der Mitte
des Ganges niederkniend, holte er den nächsten Metallbehälter aus seinem
schwarzen Rucksack.
    Josef Schwaller lag in
seinem Bett im Seniorentrakt von St. Getreu und schlief. Der alte Mann ruhte
wie immer auf dem Rücken, den Mund hatte er weit geöffnet. Durch sein eigenes
Schnarchen war er früher oft mitten in der Nacht aufgewacht, doch jetzt war er
durch die anhaltende Schwüle so erschöpft, dass ihn selbst eine Armada von
großkalibrigen Weckern nicht aus dem Schlaf gerissen hätte. Im Traum arbeitete
Josef Schwaller gerade noch einmal sein Tagwerk auf. Er schlenderte durch den
Garten von St. Getreu, überprüfte die Anpflanzungen der Beete und genoss den
Schatten der Bäume. Dann sah er sich, empört den schweren Gehstock schwingend,
in einem Operationssaal stehen und in mehrere verständnislose Ärztegesichter
blicken, die mit angelegtem Mundschutz und blutigem Operationsbesteck seine
heftigen Tiraden gegen die Bepflanzungspolitik der Klinikleitung ertrugen. Er
roch den süßlichen Duft des Narkosemittels, das den Raum erfüllte und nun auch
in seine Nase stieg. Ein Schwarzer, nur mit einer Badeshorts und einem Hawaiihemd
bekleidet, betrat durch eine Seitentür den OP und lud eine ganze Wagenladung Bananen ab, die allerdings schon ziemlich
vergammelt roch. Eine freundliche Schwester, eigenartigerweise mit einer
Gasmaske aus dem Ersten Weltkrieg vor dem Gesicht und einer Banane in der Hand,
nahm ihn schließlich an die Hand und führte ihn zu einer gepolsterten Liege
neben dem blutenden, gerade operierten Patienten. Dankbar ließ er sich auf das
bequeme Operationsgestühl niedersinken. Der süßliche Geruch wurde immer stärker,
Josef Schwaller hörte ein leises Zischen, und plötzlich spürte er eine
gewaltige Müdigkeit in sich aufsteigen. Dann kamen ihm wieder die missratenen
Blumenbeete in den Sinn, und er wollte seinen Stock noch einmal zu einem
letzten Protest heben, aber er war schon viel zu schwach. Alles morgen, schoss
es ihm noch durch die vernebelten Gedanken, dann umfing ihn endgültig eine
erleichternde, endlose Dunkelheit.
    Vier Monate zuvor
    Andreas Voll trat aus dem
Hoteleingang nach draußen und atmete einmal tief durch. Es war Mitte Februar,
und die mallorquinische Sonne erwärmte die Luft der Insel bereits auf
achtundzwanzig Grad. Selbst für Mallorca war das außergewöhnlich. Die berühmte
Mandelbaumblüte war auch schon vorbei, einen ganzen Monat früher als gewohnt.
Um diese Jahreszeit konnte man ansonsten bestenfalls mit achtzehn Grad im
Schatten rechnen, und dann hatte man schon sehr viel Glück. Also nichts wie
raus, dachte er, und den Tag genießen.
    Als er gestern Morgen um
drei Uhr mit seinen Freunden in Bamberg in Richtung Frankenschnellweg
losgefahren war, hatte das Thermometer gerade einmal plus drei Grad gezeigt. Am
Nürnberger Airport wurde ihnen dann freudig mitgeteilt, dass auf Mallorca mit
fast siebenundzwanzig Grad sommerliche Temperaturen herrschten. Daraufhin saßen
sie alle mit dem Hochgefühl eines unerwartet warmen Urlaubs im Flieger. Etwas
Besseres konnte ihnen gar nicht passieren. Alle hatten den grauslichen,
endlosen deutschen Winter satt. Wenn es wenigstens geschneit hätte! Aber keine
Spur! Frau Holle hatte es vorgezogen, statt Federkissen lieber ihre Gießkanne
über Franken zu entleeren. Drei Monate Dreckswetter mit Hochwasser,
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