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Blutberg - Kriminalroman

Blutberg - Kriminalroman

Titel: Blutberg - Kriminalroman
Autoren: PeP eBooks
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Rotwein beim Mittagessen zu Hause in Terena beschlossen worden. Beide hatten sie das Inserat gesehen, beide waren der Meinung gewesen, das sei auf jeden Fall besser als daheim arbeitslos zu sein, beide hatten ihre Familien zurückgelassen und waren zur Hölle gefahren.
    Sechs Monate. Für sechs Monate hatte er sich verpflichtet, an diesem grauenvollen Ort zu bleiben. Und erst zwei davon waren abgebüßt, doch es hätten genauso gut zwei Jahre oder auch zwanzig sein können. Und vier Monate standen noch bevor. Eine ganze Ewigkeit.
    Bei der Vorstellung durchfuhr Jorge ein noch heftigerer
Schauder. Die Erinnerung an heiße, sonnige Tage daheim in Portugal war so fern für ihn, wie er da auf dem Grunde der Schlucht stand und auf den nächsten Kipper wartete, dass es ihm durch den Sinn schoss, sie sei vollkommen unrealistisch. Er schloss die Augen und versuchte in Gedanken, sich unter die Markise vor dem Café Morinho am sonnenüberfluteten Marktplatz mitten in Terena zu setzen, sich das bunte Leben dort vorzustellen, den Lärm, und den Duft von dampfendem Kaffee zu spüren, der sich in der warmen Brise mit dem überwältigenden Duft von Rosen und Bougainvilleen mischte, die die weißgekalkten Häuserwände bedeckten. Je intensiver er diese seine schöne, alte Welt heraufzubeschwören versuchte, desto mehr rückte sie in die Ferne, und zum Schluss gab er es auf, öffnete die Augen und blickte sich um. Die starken Scheinwerfer ringsum kamen nicht gegen Schnee und Finsternis an, die über allem lasten. Durch das heftige Schneetreiben hindurch konnte er kaum bis zur zerklüfteten, senkrechten Felswand auf der anderen Seite der Schlucht hinüberblicken. Er war immer noch am gleichen Ort, und diese Vorstellung fand er niederschmetternd.
    Vielleicht würde er nie wieder durch die engen, heißen, gepflasterten Gassen von Terena schlendern, überlegte er, nie wieder seine Frau und seine drei Kinder umarmen, deren Fotos sich auf seinem Nachttisch und in seiner Brieftasche befanden, um ihn daran zu erinnern, dass sie existierten, und dass er ihretwegen hier war. Ihm ging sogar in diesem Augenblick, um sieben Minuten nach acht am Samstag, dem 27. Februar 2005, der Gedanke durch den Kopf, dass er vielleicht nie wieder die Sonne sehen würde. Doch dann schüttelte er den Kopf, verwünschte die eigene Blödheit und Wehleidigkeit, stampfte mit den tauben Füßen auf und rief sich im Stillen ein fast vergessenes Gebet ins Gedächtnis.
    Ein Motorengeräusch war zu hören, und Jorge starrte angestrengt
in das weiße Dunkel. Er griff nach seiner Schaufel, doch dann hörte er, dass dieses Geräusch nur von einem wesentlich schwächeren Motor herrühren konnte, und nicht von einem Kipper. Er sah die Scheinwerfer auf dem holperigen Weg unruhig tanzen. Das Fahrzeug näherte sich rasch und hielt ein paar Meter von ihm entfernt. Vier Männer stiegen aus, alle trugen Helme. Jorge tastete instinktiv nach dem seinen und setzte ihn auf die Mütze, falls da einer von den Sicherheitsbeauftragten dabei war.
    Die vier Männer blieben eine Weile dicht beim Wagen stehen, sie schienen auf etwas zu warten. Kurze Zeit später tauchte noch ein Auto hinten in der Schlucht auf, näherte sich rasch und hielt neben dem ersten. Zwei weitere Männer stiegen in das dichte Schneetreiben hinaus und begrüßten die anderen vier mit Handschlag. Und dann setzte sich die ganze Gruppe in Bewegung und näherte sich Jorge. Keiner von ihnen trug Arbeitskleidung. Jorge begriff nicht, weshalb irgendwelche Leute aus freien Stücken hierherkamen, zumal so früh am Morgen. Er glaubte aber zu wissen, dass es entweder Politiker, Journalisten oder irgendwelche Topmanager von der Baufirma sein mussten, die sich hier umsahen. So etwas kam ziemlich häufig vor. Der Vorderste in der Gruppe quasselte jedenfalls unentwegt und zeigte hierhin und dorthin, während die anderen hinter ihm hermarschierten. Jorge trat unwillkürlich zur Seite, und nickte dem vorderen Mann zu, als sie näher kamen.
    Und auf einmal stand alles still.
    Irgendwo oben über der Schlucht hörte man ein lautes Krachen, die Männer blieben stehen und sahen alle wie auf Kommando nach oben. Jorge auch.
    Einen winzigen Augenblick lang verspürte er den Duft von blühenden Rosen und Bougainvilleen und lächelte seine Frau unter der Markise vor dem Café Morinho an. Sie erwiderte sein Lächeln.

1
    Samstag
    Es waren ungefähr zwanzig Männer, die da wie orangefarbene Ameisen von Fels zu Fels sprangen, krochen und kraxelten,
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