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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew
Autoren: Stephen King
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bildeten.
    Wir reichten einander die Hände, Kinder, und wenn es Zeiten gab, wo wir uns fragten, was für einen Sinn das alles hätte, oder ob es so etwas wie Liebe überhaupt gäbe, so kam das nur daher, weil wir in langen Winternächten den Wind und die Brandung gehört hatten und uns fürchteten.
    Nein, ich hatte nie das Bedürfnis, die Insel zu verlassen. Hier war mein Platz, hier war mein Leben. Damals war die Meerenge breiter.«
     
    Stella erreichte die Bucht. Der Wind blähte ihre Kleidung auf wie eine Fahne. Sie blickte nach rechts und links. Wenn jemand zu sehen gewesen wäre, wäre sie noch ein Stück am Ufer weitergegangen und hätte ihr Glück bei den umgestürzten Felsen versucht, obwohl sie vereist waren. Aber kein Mensch war in der Nähe, und so ging sie den Pier entlang, am alten Bootshaus der Symes vorbei. Am Ende angelangt, blieb sie einen Moment lang mit erhobenem Haupt stehen und lauschte dem Heulen des Windes, das durch die pelzgefütterten Ohrenklappen nur gedämpft zu hören war.
    Dort draußen stand Bill und winkte. Hinter ihm, jenseits der Meerenge, konnte sie drüben auf Raccoon Head die Congo Church sehen; nur die Kirchturmspitze hob sich vom weißen Himmel kaum ab.
    Stöhnend setzte sie sich auf die Kante des Piers und ließ sich dann auf die Schneekruste hinabgleiten. Ihre Stiefel sanken ein wenig ein, nicht viel. Sie rückte Aldens Mütze wieder zurecht – wie sehr der Wind sie ihr doch vom Kopf reißen wollte! – und begann, auf Bill zuzugehen. Einmal dachte sie daran, einen Blick zurückzuwerfen, ließ es aber bleiben. Sie glaubte das nicht ertragen zu können.
    Sie bewegte sich stetig vorwärts, ihre Stiefel knirschten auf der Schneekruste, und die Eisfläche vibrierte leicht unter ihren Füßen. Dort war Bill, er stand jetzt ein Stück weiter hinten, aber er winkte immer noch. Sie hustete und spuckte Blut auf den weißen Schnee, der das Eis bedeckte. Jetzt dehnte sich die Meerenge nach allen Seiten weit aus, und zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie ohne Aldens Fernglas das Schild »Stanton’s Bait and Boat« drüben am anderen Ufer lesen. Sie sah auf der Hauptstraße von Raccoon Head Autos hin- und herfahren und dachte mit Staunen: Sie können fahren, so weit sie wollen … Portland … Boston … New York City. Stell sich das einer vor! Und sie konnte es sich fast vorstellen, konnte sich fast eine Straße vorstellen, die immer weiterführte, für die die Grenzen der Welt weit offenstanden.
    Eine Schneeflocke wirbelte an ihren Augen vorbei. Noch eine. Eine dritte. Gleich darauf schneite es leicht, und sie ging durch eine herrlich weiße, sich ständig verändernde Welt. Sie sah Raccoon Head wie durch einen dünnen Schleier, der manchmal fast verschwand. Wieder rückte sie Aldens Mütze zurecht, und von deren Schirm fiel ihr Schnee in die Augen. Der Wind wirbelte den Neuschnee zu nebelhaften Figuren auf, und in einer davon sah sie Carl Abersham, der zusammen mit Hattie Stoddards Mann mit dem »Dancer« untergegangen war.
    Bald schneite es aber heftiger, und alle Konturen verschwammen. Die Hauptstraße von Raccoon Head wurde immer unwirklicher und verschwand schließlich ganz. Eine Weile konnte sie noch das Kreuz auf der Kirche sehen, aber dann entschwand es ebenfalls, wie ein Trugbild. Als Letztes verschwand das leuchtend gelbe Schild mit der schwarzen Aufschrift »Stanton’s Bait and Boat«, wo man auch Motorenöl, Fliegenfänger, Pizzaschnitten und Budweiser bekommen konnte.
    Dann ging Stella durch eine völlig farblose Welt, einen grauweißen Schneetraum. Genau wie Jesus, der auf dem Wasser wandelte, dachte sie, und nun warf sie doch einen Blick zurück, aber inzwischen war auch die Insel verschwunden. Sie sah ein Stück weit ihre eigenen Fußspuren, deren Umrisse immer undeutlicher wurden, bis zuletzt nur noch die Halbkreise ihrer Absätze ganz schwach zu erkennen waren … und dann nichts mehr. Überhaupt nichts mehr.
    Sie dachte: Es ist eine richtige Waschküche. Du musst aufpassen, Stella, sonst kommst du nie ans Festland, sonst läufst du immer im Kreis herum, bis du erschöpft bist, und dann erfrierst du hier draußen.
    Ihr fiel ein, wie Bill ihr einmal erzählt hatte, wenn man sich im Wald verirre, müsse man so tun, als wäre das rechte Bein – wenn man Rechtshänder war, sonst das andere – lahm. Andernfalls würde dieses kräftigere Bein selbständig die Führung übernehmen, und man würde im Kreis gehen und das nicht einmal bemerken, bis man wieder bei
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