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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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erkrankt? Doch er sah keinen Schaum der Tollwut an ihren Mäulern. Im Gegenteil. Sie wirkten stark wie nie zuvor.
    »Was ist mit euch?« Er trat näher. Das Knurren wurde lauter. Doch eine Antwort erhielt er nicht.
    »Ich muss mit Vater sprechen. Dringend. Es ist etwas Schreckliches passiert!«
    Wieder diese Wand aus Feindschaft.
    »Redet endlich mit mir oder lasst mich durch!«
    Er ging einen weiteren Schritt vor und sah die Muskeln seiner Geschwister zucken, das Knurren wurde noch tiefer. Würden sie ihn tatsächlich angreifen?
    Er musste es darauf ankommen lassen.
    Es war ein Bruder aus dem ersten Wurf der Mutter, welcher sich nun aufrichtete, um ihm zu antworten. Bei der Nachfolge als Wächter war er übergangen worden, weil ihm die innere Ruhe fehlte.
    »Hau ab! Du gehörst nicht mehr zu uns. Jetzt sehen alle, dass ich recht hatte. Du bist Dreck, eine Schande für alle unsere Ahnen und Urahnen. Du hast das Sacra Sindone verloren. – Jetzt !«
    Von rechts schoss seine Schwester auf ihn zu und biss ihn in die ungeschützte Flanke. Die Wunde war nicht tief,doch sie schmerzte ungemein. Immer mehr Pharaonenhunde drangen zur Grenze, senkten die Köpfe und zeigten ihre Fänge.
    Sie würden ihn zerfetzen.
    Dann begann das Geheul und Gebell. Wie Irre benahmen sie sich plötzlich. Und Amadeus spürte, dass sich ihm jemand näherte, von hinten heranschlich, auf leisen Pfoten und doch von großer Präsenz. Er sprang herum, bereit zum Kampf, die Ohren zurückgelegt.
    Doch er blickte nur in das gütige Gesicht seiner Großmutter Nara, deren Schnauze längst grau geworden war, aber die im Schnee fast zu glühen schien.
    »Halt dich fern von dieser Schande!«, schrie ihr eine seiner Schwestern zu. »Er hat uns alle entehrt!«
    Doch Nara scherte sich nicht darum und leckte Amadeus beruhigend über die Bisswunde. »Komm, mein Guter. Lass uns miteinander reden. Hier ist es mir zu laut.«
    Traurig blickte Amadeus auf seine Geschwister und die ganze Meute, welche eine Mauer bildete, ihn von Vater und Mutter trennte.
    »Kannst du mich nicht zu Vater bringen? Dich achten sie!«
    »Ach, Amadeus«, sie blickte ihn sorgenvoll an. »Folge mir. «
    Obwohl sie sich entfernten, ging das Heulen und Bellen weiter. Es kam Amadeus sogar vor, als würde es noch intensiver, als wollten sie jeden Meter, den er sich mit Nara entfernte, überbrücken, indem sie ihren Lungen alle Luft auspressten.
    Seine Großmutter führte ihn die leichte Erhöhung hinauf, die der Meute bei Gefahr als Ausguck diente.
    »Schau dorthin, und du wirst verstehen. Oder zumindest damit beginnen.«
    Amadeus folgte ihrem Blick.
    In der Mitte der Insel, unter einer schneebedeckten Hecke, lag leblos sein Vater. Direkt daneben seine Mutter, am ganzen Leib zitternd.
    »Ist er ... tot?«
    Seine Großmutter ließ sich im Schnee nieder. »Nein. Aber leben tut er auch nicht. Er ist zwischen den Welten. Er erträgt die Scham nicht, das Sindone verloren zu haben. Denn er war es, der dich für die Nachfolge ausgewählt hatte – und du hast schrecklich versagt. Deshalb trägt auch er nun große Schuld. Er würde gerne sterben, um dem Schmerz zu entfliehen. Doch dann würde er seinen Ahnen gegenübertreten, bei denen er nun keinen Platz finden wird. Sie werden ihn nicht zu sich lassen, er würde im Jenseits für sich allein bleiben. Deshalb hat er lähmende Angst vor dem Tod. Es gibt keine Heimat mehr für ihn, nirgendwo. Er will weder leben noch sterben.«
    Der Körper seines stolzen Vaters wirkte wie verkümmert. In schmerzhaft langen Abständen stieß er spärliche Atemwolken aus. Amadeus sah lange hin, hoffte, er würde mit einem Mal aufspringen, eine Lösung finden.
    Dann fiel die Nacht über Turin. Mehrere Hunde der Meute schafften Essen herbei, die anderen versammelten sich wie eine wärmende Stola um seinen Vater.
    Nun verstand Amadeus die Geschwister.
    Wäre es andersherum gewesen, er hätte mit ihnen gemeinsam die Mauer aus Zähnen und Krallen gebildet.
     
    Das war schlimmer als faulige Trüffel, dachte Giacomo. Für den alten Genießer eigentlich der höchste Grad des Grauens. Nicht nur, dass er nachts tief in einem unbekannten Wald steckte, der Schnee ihm bis zum Bauch reichte, und die Nacht dunkler als Ziegenkot war. Er hatte auch keine Ahnung, wo er etwas Essbares auftreiben konnte, geschweige denn eine köstliche Salame d’asino, nach der ihm nunder Sinn stand. Er hatte schrecklichen Hunger. Außerdem schmerzten Hals und Nacken, weil er die ganze Zeit dieses verdammte
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