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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
Autoren: Florian Sitzmann
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ich mich vor dem Spiegel schick mache, dann ist es ohnehin schöner, dies aus einem tollen Sessel heraus zu tun, als im ewig gleichen Rollstuhl zu sitzen. Aber Vorsicht! Nicht jeder kann so einfach auf einem Sessel sitzen. Wenn ich mich zu weit nach hinten lehne, mache ich ungewollt rückwärts einen Purzelbaum. Weil mir das Beingewicht fehlt, liegt mein Schwerpunkt ein wenig höher, und die Gefahr zu kippen ist dadurch größer.

    »My Home is my Castle«. Ja, unbedingt. Aber noch einmal, dieses königliche Wohnumfeld muss ich mir nach meinen Bedürfnissen selber kreieren. Ich bin der König in meinem Reich. Und wenn meine Wohnung entsprechend ausgestattet und alles nach meinem individuellen Handicap ausgerichtet und modelliert ist, ich Hilfen habe wie Rampen, breite Türen oder einen Treppenlift, wenn also alles für mich greifbar und verfügbar ist, sodass ich problemlos danach greifen kann,
dann fühle ich mich richtig wohl. Und dann bin ich auch so entspannt, dass ich gerne mal Gäste empfange. Denn auch der Mensch mit Behinderung mag es, seine Freunde um sich zu haben.

    Um sich haben – das ist mein letztes Stichwort in Sachen »Wohnen«: Wichtig ist für Menschen mit Behinderung das nachbarschaftliche Umfeld. Ich bin zum Beispiel jemand, der sehr gerne in seinem Garten herumwurschtelt. Vielleicht auch mal ein neues Beet anlegt. Wenn ich nun aus dem Baumarkt komme, mit meinen 5 Säcken Erde im Kofferraum, kann es vorkommen, dass ich meine netten Nachbarn um Hilfe bitte, mir beim Ausladen zu helfen. Das mache ich nicht oft, aber hin und wieder muss auch der Alpha-Mann über seinen Schatten springen. Bis heute hat da zum Glück noch niemand nein gesagt. Wenn jemand bei uns klingelt und ein paar Eier für die Küche braucht, sind wir natürlich auch immer gerne zur Stelle. Es ist ja nicht nur als Mensch mit Behinderung schön und vorteilhaft, zu seinen Nachbarn ein nettes Verhältnis zu haben. Davon können ja alle profitieren. Aber ein Mensch mit Handicap sollte hierauf ganz besonders achten. Hilfsbereite Nachbarn sind für uns Gold wert.

    »My home is my castle«, das heißt letztlich nichts anderes als: Ich will mich in meiner Wohnung wohl fühlen wie ein König in seinem Schloss. Und dazu gehört ganz wesentlich: Ich will mich mit meiner Beeinträchtigung nicht ständig behindert fühlen. Das ist schon auf der Straße oft genug der Fall.
    Ich fühle mich wohl, wenn meine Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt ist und ich all das tun kann, was ich in meinem Gehäuse tun will. Und zwar mit möglichst wenig Hilfe von anderen. Ich will mir einen Tee kochen können, möchte mir
eine Limo aus dem Kühlschrank holen und meiner Süßen etwas kochen, ich will duschen können, wann ich will, und ich will mir ein Jackett aus dem Schrank holen können, wenn ich es brauche und Lust darauf habe. Um das zu erreichen, muss ich ein wenig mehr nachdenken, wenn ich mir eine Wohnung suche. Und ein bisschen mehr Klartext reden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

KAPITEL 3
Auto
    Immer wieder werde ich von heftigen Blasenentzündungen geplagt. Die entstehen vor allem, wenn ich zu wenig trinke. Die Blasenentzündungen sind ein echtes Handicap, denn sie zwingen mich zur Ruhe und einem gewissen Stillstand in meinem Leben. Ich muss dann viel Zeit liegend auf der Couch oder im Bett verbringen, was eigentlich gar nicht meinem Naturell entspricht. Früher noch weniger als heute. Aber seit es mich vor ein paar Monaten für einige Wochen richtig flach gelegt hat, mit Klinikaufenthalt, Operation und allem drum und dran, habe ich das erste Mal seit zwanzig Jahren gelernt, radikal umzudenken und konsequent etwas zu verändern. Es scheint, als bräuchte der Mensch einen Wink mit dem Zaunpfahl, um zu kapieren, dass es so nicht weitergeht. Das war für mich jetzt richtig gut. Wenn man so viel unterwegs ist wie ich und vom Typ her eher unruhig und ungeduldig, dann kann es auch ganz lehrreich sein, sich einer eingeschränkten Mobilität zu stellen. Aber wenn diese Ruhe über zwei Wochen geht, dann erreicht auch meine Meditationsbereitschaft ihre Grenzen – so ganz habe ich meinen Lernprozess noch nicht abgeschlossen ... Ich will aktiv sein. Die Wohnung aufräumen, renovieren, vergnügt und hibbelig sein. »Es reicht jetzt mit dem Herumliegen!«, schimpfe ich dann laut und weiß doch, dass mein Körper die Ruhe, die er mir gerade abfordert, nun mal braucht. Blasenentzündungen bedeuten in der Konsequenz u. a., dass ich weder im Auto noch
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