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Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman
Autoren: Robert Pobi
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Küchenausstattung aus einer Edelstahlgabel und einem Messer bestand, die säuberlich auf einem papierenen Tischset auf der Arbeitsplatte lagen. Neben dem von der Hitze blau angelaufenen Löffel und dem Gummischlauch.
    Barfuß war er durchs Wohnzimmer geschlurft, während er Kaffee aus einem uralten A&W-Pappbecher trank, aus dem er ein Sortiment Pinsel entfernt hatte. Etwas an der gewachsten Oberfläche, der Hitze des Kaffees an seinen Fingern und dem leichten Terpentingeruch machte ihm klar, dass sich die Welt unwiderruflich verändert hatte. Er war seit fast dreißig Jahren nicht mehr hier gewesen, aber als er jetzt durch den lichtdurchfluteten, keilartigen Raum ging, fühlte er sich fast so, als wäre er nie fortgegangen. Weil unser Verstand nicht dafür gemacht ist, zu vergessen, sondern zu ignorieren.
    Der Mann mit dem zerklüfteten Gesicht, den ausdruckslosen schwarzen Augen und der Tätowierung, der ihm aus dem großen Spiegel neben dem Klavier entgegenstarrte, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Jungen, der hier vor langer Zeit fortgegangen war. Die Uhr hatte achtundzwanzig Jahre einfach verschluckt, und jene verschlissene Maschinerie, die er als Körper benutzte, hatte ihre Zellen seit seinem Weggang ganze viermal ausgetauscht. Bis auf die elektrischen Impulse, die er als Erinnerungen abgespeichert hatte, war Jake Cole ein anderer Mensch.
    Jake konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie er zu der Tätowierung gekommen war, nicht einmal, dass er je darüber nachgedacht hatte. Damals war sein Geld für Koks und Heroin draufgegangen; niemals hätte er sein Budget für etwas so Nutzloses wie ein Tattoo verschwendet. Doch eines Tages war er in dem winzigen Apartment in der Spring Street aufgewacht, vier Monate mit der Miete im Rückstand, aber aus irgendwelchen Gründen immer noch nicht hinausgeworfen. Er lag mitten auf dem Küchenfußboden, während sein Kopf schmerzhaft pulsierte wie eine schwärende Wunde und er in einer Lache aus rostigbraunem Wasser aus der übergelaufenen Toilette nebenan schlotterte. Er war aufgestanden, und als er den Arm ausstreckte, um sich am Kühlschrank abzustützen, der aus irgendeinem Grund nicht mehr da war, sah er, dass etwas seinen Arm wie ein schwarzes Seidenhemd umschloss. Die Tätowiertinte bedeckte seinen ganzen Körper. Von den Fußknöcheln bis zu den Handgelenken und einer ausgefransten Linie knapp unterhalb des Kehlkopfes. An den Füßen bereits glatt und verheilt – angeschwollen, gerötet und frisch am Hals. Und er erinnerte sich an rein gar nichts. Vier Monate seines Lebens ausgelöscht.
    Er hatte stundenlang vor dem Spiegel gestanden. Der längste Zeitraum, soweit er zurückdenken konnte, ohne high zu sein und trotzdem ohne nervöse Zuckungen. Die Schrift war italienisch, und nachdem er ein paar Namen und Sätze entziffert hatte, wusste er, worum es sich handelte.
    Es war der Zwölfte Gesang der Hölle, der erste Teil von Dantes Göttlicher Komödie . Jake kannte die Geschichte natürlich. Als Kind war es sein Lieblingsbuch aus der Bibliothek seines Vaters gewesen. Ein schwerer, ledergebundener Wälzer, illustriert von Gustave Doré. Er hatte nie bewusst darüber nachgedacht, welcher Teil ihm am besten gefiel, aber als er sich jetzt im Spiegel anstarrte und die Tintenschrift betrachtete, die sich schlangengleich um seinen ganzen Körper wand, da wusste er, wie er sich entschieden hatte. Und genau genommen war der Zwölfte Gesang tatsächlich eine unvermeidliche Wahl. Die Gewalttäter, die zur Hölle verdammt waren. Die Geschichte der Männer des Blutes. Wie diejenigen, die er jagte.
    Wie der eine , hinter dem er jetzt her war.
    Nach all der Zeit. Es stank nach dem verdammten Wort Schicksal, genau wie seine Rückkehr nach Hause. Weil manche Dinge dazu bestimmt waren, zu geschehen. Es gab Orte, an die man einfach zurückkehren musste. Und bei dem Gedanken stellte er fest, dass er sich immer noch nicht oben umgesehen hatte.
    Natürlich war der erste Stock in ebenso schlimmem Zustand wie das Erdgeschoss, eher noch übler, weil die aufsteigende Hitze nirgendwo hinkonnte und den Geruch nach Staub und Schmutz und Verzweiflung in die Wände gebrannt hatte. Die Hartholzdielen des kahlen Bodens wellten sich, und der Lack war inzwischen abgetreten bis auf das schmutzige, nackte Holz. Neben einigen weiteren Teppichmessern stapelten sich auch hier die
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