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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments
Autoren: Malcolm Gladwell
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Frauen hatten ein derartig gutes Händchen, die Eigenheiten der deutschen
     Funker herauszufinden, dass sie ihnen quer durch Europa folgen konnten, egal wohin sie verlegt wurden. Das waren natürlich
     unglaublich wertvolle Informationen, wenn es darum |35| ging, Einsätze zu planen und festzustellen, welche Einheit sich wo aufhält und was sie dort treibt. Wenn ein bestimmter Funker
     bei einer bestimmten Einheit ist und aus Florenz sendet und Sie drei Wochen später denselben Funker wieder entdecken, diesmal
     aber in Linz, dann können Sie davon ausgehen, dass seine Einheit von Italien an die Ostfront verlegt wird. Oder Sie stellen
     fest, dass ein bestimmter Funker bei einer Nachschubeinheit ist und sich immer Punkt zwölf Uhr meldet. Wenn aber nach einem
     größeren Einsatz derselbe Funker plötzlich nicht mehr nur noch um zwölf Uhr sendet, sondern zusätzlich um zehn Uhr morgens,
     um vier Uhr nachmittags und um sieben Uhr abends, dann können Sie sich ausmalen, dass seine Einheit alle Hände voll zu tun
     hat. Wenn nun in einem kritischen Moment jemand aus der Kommandozentrale zu Ihnen kommt und Sie fragt: ›Sind Sie absolut sicher,
     dass dieses und jenes Fliegerkorps der Luftwaffe vor Tobruk stationiert ist und nicht mehr in Italien?‹, dann können Sie sagen:
     ›Ja, Oskar hat von dort gefunkt, wir sind uns absolut sicher.‹«
    Das Wichtigste an der Handschrift ist, dass sie auf ganz natürliche Weise zustande kommt. Funker legen es nicht darauf an,
     einen eigenen Stil zu entwickeln. Sie klingen unterschiedlich, denn in dem Rhythmus, in dem sie auf die Morsetaste tippen,
     kommt ganz automatisch und unwillkürlich ein Teil ihrer Persönlichkeit zum Ausdruck. Diese Handschrift ist schon in einigen
     wenigen Signalen erkennbar. Es reicht völlig aus, ein paar Zeichen abzuhören, um das ganz eigene Muster eines bestimmten Funkers
     zu erkennen. Es verändert sich nicht und ist durchgängig durch die gesamte Nachricht erkennbar. Aus diesem Grund konnten die
     Frauen in den britischen Abhörzentralen schon nach ein paar Signalen mit absoluter Sicherheit sagen: »Das ist Oskar, seine
     Einheit ist definitiv vor Tobruk stationiert.« Die Handschrift des Funkers ist unverwechselbar und immer dieselbe.
    John Gottman behauptet nun, auch eine Beziehung zwischen zwei Menschen habe eine ganz bestimmte, immer wieder zu erkennende
     Handschrift, die automatisch und unwillkürlich in |36| jeder Lebenslage auftaucht. Aus diesem Grund kann eine Ehe so problemlos gelesen und entschlüsselt werden: Jede menschliche
     Tätigkeit, sei es etwas so Einfaches wie das Tippen einer Morsetaste oder etwas so Komplexes wie eine Ehe, hat ein eindeutiges
     und unverwechselbares Muster. Eine Scheidung vorherzusagen, ist nichts anderes, als einen Funker an seiner Handschrift zu
     identifizieren: Es geht darum, Muster herauszufiltern.
    »In jeder Beziehung befinden sich die Partner in einem von zwei möglichen Stadien«, sagt Gottmann. »Das eine nenne ich den
     positiven Überschuss, hier überwiegen die positiven Gefühle. Es ist wie ein Puffer: Die Partnerin tut etwas, was dem Partner
     nicht gefällt, aber der sagt sich: ›Naja, sie ist halt schlecht gelaunt.‹ Es gibt allerdings auch einen negativen Überschuss,
     und in dieser Situation überwiegen die negativen Gefühle. Dann wird selbst eine relativ neutrale Aussage als negativ ausgelegt.
     In diesem negativen Stadium fällen die Partner dauerhafte Urteile übereinander. Wenn der Partner etwas Positives tut, dann
     ist er halt ein egoistischer Mensch, der auch mal etwas Positives tut. Es ist schwer, an dieser Situation noch etwas zu verändern.
     Bei negativem Überschuss ist es oft so, dass etwa ein Partner versucht, die Beziehung zu kitten, während der andere das Gefühl
     hat, er solle in feindlicher Absicht manipuliert werden. Nehmen wir ein Beispiel. Ich unterhalte mich mit meiner Frau, und
     sie sagt zu mir: ›Kannst du gerade mal die Klappe halten und mich ausreden lassen!‹ Wenn die positiven Gefühle überwiegen,
     dann antworte ich: ›Tut mir Leid, Schatz. Sprich weiter.‹ Vielleicht bin ich nicht besonders begeistert, dass sie mir über
     den Mund fährt, aber ich erkenne die Notwendigkeit dieser kleinen Reparaturmaßnahme. Wenn die negativen Gefühle überwiegen,
     dann antworte ich: ›Scher dich doch zum Teufel, du lässt mich auch nie ausreden! Du bist eine blöde Zicke, genau wie deine
     Mutter!‹«
    Während er sprach, nahm Gottman ein Stück Papier
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