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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments
Autoren: Malcolm Gladwell
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hat oder wann die Ehefrau
     auf ihrem Stuhl herumgerutscht ist. Auch diese Informationen fließen in die Ermittlung der SPAFF-Ziffer ein.
    Mit seinen Berechnungen gelang Gottman ein bemerkenswerter Beweis. Nach der Analyse eines sechzigminütigen Gesprächs zwischen
     Mann und Frau kann er mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob das Paar in 15 Jahren noch verheiratet sein wird
     oder nicht. Wenn er ein Paar nur 15 Minuten lang beobachtet, dann liegt seine Erfolgsquote immer noch bei 90 Prozent. Und
     bei dem Versuch, einen neuen Test zu entwickeln, entdeckte Sybil Carrère, eine Kollegin von John Gottman, dass selbst drei
     Minuten einer solchen Videoaufnahme schon ausreichen, um mit hinreichender Verlässlichkeit vorhersagen zu können, ob ein Ehepaar
     zusammenbleiben wird oder nicht. Um zu wissen, wie es um eine Ehe bestellt ist, brauchen wir also viel weniger Zeit, als wir
     uns je hätten träumen lassen.
    John Gottman ist nicht besonders groß, er hat eulenhafte Augen, silbergraues Haar und einen gepflegten Bart. Er ist ein sehr
     charmanter Mann, und wenn er über etwas spricht, was ihn bewegt – und ihn bewegt fast alles –, dann leuchten seine Augen und
     werden noch größer. Während des Vietnamkrieges verweigerte |29| er den Kriegsdienst, und bis heute umgibt ihn ein gewisses Hippie-Flair, besonders wenn er seine Mao-Mütze aufsetzt. Von Haus
     aus ist Gottman Psychologe. Nebenbei studierte er jedoch Mathematik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), und in
     seinen Arbeiten spielt die methodische Strenge der Mathematik eine mindestens ebenso große Rolle wie die Psychologie. Als
     ich Gottman traf, hatte er gerade eine fünfhundertseitige Abhandlung mit dem Titel
The Mathematics of Marriage
veröffentlicht. Er gab sich große Mühe, mir einen Eindruck von seiner Arbeit zu vermitteln, und kritzelte Formeln und Kurven
     auf verschiedene Zettel, bis mir schwindelig wurde.
    John Gottman scheint nicht so recht in ein Buch zu passen, in dem es um Gedanken und Entscheidungen geht, die aus dem Unbewussten
     hervorsprudeln. Sein Ansatz hat nichts mit Instinkt und Intuition zu tun. Gottman fällt keine Spontanurteile. Stattdessen
     sitzt er vor dem Bildschirm seines Rechners und analysiert mit wissenschaftlicher Exaktheit Videoaufzeichnungen, Sekunde für
     Sekunde. Er scheint die klassische Verkörperung des bewussten und zielgerichteten Denkens zu sein. Trotzdem können wir von
     Gottman eine Menge über eine Methode der schnellen Entscheidungsfindung lernen. Diese Methode nennt sich »thin-slicing«, wörtlich
     »in dünne Scheibchen schneiden«, was nichts anderes beschreibt als die Fähigkeit unseres Unbewussten, auf Grundlage extrem
     dünner Scheibchen von Erfahrungen bestimmte Muster in Situationen und Verhaltensweisen zu entdecken. Als Evelyn Harrison einen
     Blick auf den Kouros warf und herausplatzte: »Es tut mir Leid, das zu hören«, schnitt sie ihre Erfahrung genauso in dünne
     Scheibchen wie die Testpersonen der Universität Iowa, die beim Gedanken an rote Karten feuchte Hände bekamen.
    Dass unser Unbewusstes in der Lage ist, kleinste Einzelmomenten aus unseren Erfahrungen herauszupräparieren, macht es so faszinierend.
     Allerdings ist das auch genau der Punkt, den wir an unseren Spontanurteilen oft als Nachteil empfinden. Wie kann es möglich
     sein, dass wir innerhalb ganz kurzer Zeit genügend Informationen |30| für ein fundiertes Urteil bekommen? Die Antwort ist einfach: Wenn unser Unbewusstes aus unseren Eindrücken dünne Scheibchen
     herausschneidet, dann passiert im Grunde nichts anderes als in Gottmans Videoanalysen, nur automatisch, beschleunigt und unbewusst.
     Können wir einer Paarbeziehung wirklich in nur einer einzigen fünfzehnminütigen Sitzung auf den Grund kommen? Ja das können
     wir, und nicht nur einer Beziehung, sondern vielen anderen scheinbar komplexen Situationen. Und von John Gottman können wir
     lernen, wie das geht.
    Der Morsecode der Ehe
    Ich sah mir die Aufzeichnung von Bill und Susan zusammen mit Amber Tabares an, einer Studentin, die in John Gottmans Labor
     arbeitet und von ihm gelernt hat, Videos mit dem SPAFF-Code zu analysieren. Wir saßen in demselben Raum, in dem Bill und Susan
     ihre Unterhaltung geführt hatten, und sahen uns das Band an. Das Gespräch begann mit Bill. Er sagte, er habe ihren alten Hund
     gut leiden können, aber den neuen möge er nicht. Er machte dabei weder einen ärgerlichen noch einen feindseligen
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