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Blinder Einsatz

Blinder Einsatz

Titel: Blinder Einsatz
Autoren: Florian Lafani , Gautier Renault
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Jane Kramer war nicht bereit, das Unternehmen kampflos den Aktionären zu überlassen, die sie gnadenlos fertigmachen würden, wenn sie nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte. Das schnelle Geld machen – dieser Gedanke war mir schon lange fremd geworden. In meiner Jugend hatte ich natürlich auch so gedacht, aber als ich bei Kramer anfing, hatte ich längst andere Vorstellungen vom Leben. Das sagte ich nun auch Jane. Daher widerstrebte mir ein solches Projekt.
    Als leitender Kopf eines riesigen Unternehmens kannte Jane ihre Leute und wusste, wie sie sie nehmen musste, um zu bekommen, was sie wollte. Neidlos legte sie mir dar, wie unverzichtbar meine Arbeit für das Generika-Projekt war. Ich war überall im Konzern beliebt und wurde häufig interviewt. Die Öffentlichkeit sah in mir die Person, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Menschen weltweit Zugang zu bezahlbaren Medikamenten zu verschaffen. Ich genoss das Ansehen, das ich meinem Engagement für eine gute Sache verdankte.
    Wenn ich Janes Bitte zurückwies, dann geriet das gesamte Projekt einer neuen Wirtschaftsordnung in Gefahr, in das wir schon etliche Jahre investiert hatten. Über kurz oder lang würden jene, die Kramer Investment in ein rein profitorientiertes Unternehmen umbauen wollten, diesen bislang unrentablen Geschäftszweig einstellen. Wenn das Unternehmen nicht bald den finanziellen Engpass überwand, würde es vielleicht sogar zerschlagen und stückweise verkauft.
    Also akzeptierte ich die neue Herausforderung, eine Strategie zu entwickeln, die kurzfristig hohe Gewinne brachte – ein Ziel, das der bisherigen Unternehmensphilosophie völlig widersprach.
    In den folgenden fünf Wochen verschaffte ich mir einen Überblick über alle laufenden Projekte, kontaktierte sämtliche Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und ließ mir ihre aktuellen Pläne vorlegen. Was ich dringend brauchte, war ein klares Bild unseres Leistungsspektrums und unserer industriellen und finanziellen Möglichkeiten. Ich bemühte mich, überall zugleich zu sein. So kehrte bei mir das lange vergessene Gefühl zurück, nie genug Zeit zu haben. Ich stand in Kontakt mit Trendforschungsinstituten, ich nahm die Projekte der Konkurrenz unter die Lupe, ich versuchte herauszufinden, was Zukunft hatte. Mein Drucker stand überhaupt nicht mehr still. Ich studierte Hunderte Berichte, versah sie mit Kommentaren und heftete sie ab. Auf meinem Schreibtisch herrschte das reinste Chaos. Jeden Tag schrieb ich ein Resümee über das, was ich gelesen hatte, und diskutierte es mit Jane.
    Am Ende der fünf Wochen zog ich eine erste Bilanz. Das Unternehmen war führend in der medizinischen Forschung bei vier Krankheiten – Multiple Sklerose, Parkinson, Alzheimer, Darmkrebs – sowie in der Biotechnologie und bei gentechnisch veränderten Organismen. Unsere Konkurrenten im Medikamenten- und Lebensmittelsektor konzentrierten sich unterdessen auf ihre gewohnten Geschäftsfelder. Es gab keine Anzeichen dafür, dass jemand an etwas wirklich Neuem arbeitete.
    Ich hielt auch nach weiteren Bereichen Ausschau, die uns interessieren konnten: Digitalfotografie, Glasfasernetze und viele andere. Neue Technologien entwickelten sich mit rasender Geschwingigkeit. Für die nächsten fünfzehn Jahre sahen die Trendforscher zwei große Wachstumsbereiche voraus: den Unterhaltungssektor und die Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen auf allen Ebenen. Zwar sah ich, dass hier viele Möglichkeiten steckten, doch das alles schien mir noch wenig konkret. Ich brauchte präzisere Informationen.
    Die erste Etappe meiner Recherchen war zu Ende. Jane Kramer mochte mich noch so sehr bedrängen, ich konnte ihr noch keinen neuen Businessplan vorlegen. Es blieben nur noch anderthalb Monate bis zum Ablauf des Ultimatums, das die Aktionäre gesetzt hatten. Ich bekam deutlich die Ungeduld von Jane Kramer zu spüren. Kein Wunder, denn mir fehlte noch jede zündende Idee. Aber oft genügt im Leben ein wenig Abstand, um ein Rätsel zu knacken, das eben noch unlösbar schien.
    Ich nahm mir zwei Tage frei, um einen klaren Kopf zu bekommen. Wie so oft nutzte ich diese Zeit, um meine Tochter zu besuchen. Wir verbrachten schöne Stunden miteinander, auch wenn ich nur die Hälfte von dem verstand, was sie mir erzählte. Sie war eben siebzehn und ich fünfundfünfzig, ein Abstand, der kaum zu überbrücken schien. Dennoch bekam ich durch die Gespräche mit ihr ein wenig Anschluss an die jüngere Generation. Clara hielt
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