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Bleib bei mir, kleine Lady

Bleib bei mir, kleine Lady

Titel: Bleib bei mir, kleine Lady
Autoren: Barbara Cartland
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und das Gefühl gehabt, als einziger Zuschauer ein sehr unangenehmes Schauspiel vor sich abrollen zu sehen.
    Ihr Vater war der perfekte Gastgeber gewesen, und Gracila hatte förmlich gespürt, wie glücklich er war, eine so einflußreiche Persönlichkeit zum Schwiegersohn zu bekommen.
    Er ahnt es nicht einmal, hatte Gracila immer wieder denken müssen.
    Zum erstenmal hatte sie die Stiefmutter nicht als einen Menschen gesehen, nach dem sie sich richten mußte, sondern als eine Frau ohne Moral, die ihre Reize schamlos zur Schau trug.
    Allerdings hatte Gracila zugeben müssen, daß dies nur jemandem auffiel, der den Schlüssel zur Lösung des Rätsels besaß.
    Als sich Gracila nach dem Abendessen in ihr Zimmer zurückzog, wußte sie plötzlich, daß es nur eine Möglichkeit gab – sie mußte weglaufen.
    Sie hätte es nie über das Herz gebracht, ihrem Vater die Wahrheit zu sagen, und wie hätte sie ohne diese Wahrheit die Abscheu vor der bevorstehenden Heirat begründen sollen?
    Man hätte ihr entgegnet, sie sei eben im Augenblick etwas nervös, aber das würde sich schon wieder geben. Ihre Einwände wären beiseite geschoben worden, und sie wäre gezwungen gewesen, einem Mann ihr Jawort zu geben, der sie lediglich geheiratet hatte, um das Verhältnis mit ihrer Stiefmutter fortsetzen zu können.
    In dieser Nacht sollte Gracilas Vater unter dem eigenen Dach betrogen werden, und da Gracila dies wußte, mußte sie sofort handeln.
    Daß sie nicht zu ihren Verwandten gehen und um ihre Hilfe bitten konnte, war ihr klar. Sie wäre auf Unverständnis gestoßen und hätte lediglich zu hören bekommen, daß man einen so einflußreichen Mann wie den Herzog nicht abweist. Noch dazu im letzten Augenblick.
    Für ihre Freunde galt das gleiche. Beim Gedanken an die zehn Brautjungfern, die ihre Stiefmutter aus den besten Familien des Landes ausgewählt hatte, lief es Gracila kalt über den Rücken. Sie hatten sich elegante, teure Kleider anfertigen lassen, hatten ihre Blumenbouquets bestellt und konnten den Tag kaum erwarten.
    Und nicht nur sie. In der großen Scheune waren bereits die Tische und Bänke für die Pächter und Landarbeiter aufgestellt, die hier bewirtet werden sollten.
    Wie sollte das alles rückgängig gemacht werden? Gracila wußte es nicht. Sie wußte nur, daß die Hochzeit nicht stattfinden durfte. Verschwinden war die einzige Möglichkeit. Wenn keine Braut da war, mußte die ganze Maschinerie, die für die Hochzeitsfeierlichkeiten angekurbelt worden war, angehalten werden.
    Und dann war ihr plötzlich Millet eingefallen.
    Weil ihre Stiefmutter Millet nicht gemocht und behauptet hatte, er leiste keine zufriedenstellende Arbeit, hatte er gehen müssen. Daß er immer zur Familie gehört hatte und nach fast dreißig Jahren treuer Dienste nicht hätte entlassen werden dürfen, hatte sie nicht berührt.
    Sie hatte offensichtlich ihre Gründe gehabt. Dienstboten wußten meistens zuviel, und sie redeten zuviel. Diejenigen, die von ihr persönlich angestellt waren, würden nicht so schnell über ihre Handlungsweise schockiert sein und sie vor allem nicht verraten.
    Der Gedanke an Millet war Gracila wie die Rettung erschienen. Von ihrem Vater und ihrer Mutter abgesehen, hatte sie nie einen Menschen mehr geliebt als ihn.
    Das erste Wort, das sie hatte sprechen können, war ‚Mitty’ gewesen. Wann immer sie ihrer Kinderfrau hatte entkommen können, war sie zu ihm gelaufen, hatte in der Geschirrkammer auf seinen Knien gesessen oder ihm beim Silberputzen zugesehen.
    Mitty wird mich aufnehmen und verstecken, hatte sie gedacht und wieder Hoffnung geschöpft.
    Als sich Mitty von ihr verabschiedet hatte – Gracila erinnerte sich noch gut daran, wie ihm die Tränen über das Gesicht gelaufen waren –, hatte er gesagt, wohin er gehen würde.
    Wie jämmerlich er in seinen eigenen Kleidern ausgesehen hatte! Ein trauriger alter Mann, der mit dem würdigen Butler in Livree kaum mehr etwas zu tun hatte.
    „Und was machen Sie denn jetzt, Mitty?“ hatte Gracila voll Mitleid gefragt. Sie hatte es immer noch nicht fassen können, daß jemand, der so sehr zu ihrem Leben gehörte, einfach ersetzt werden sollte.
    „Ich finde schon eine neue Stellung, Mylady“, antwortete Millet. „Vorerst gehe ich zu meiner Schwester.“
    „Zu Mrs. Hansell in Barons’ Hall?“
    Millet nickte.
    „Sie müssen mir aber versprechen, daß Sie mir Bescheid sagen, wenn Sie eine neue Adresse haben.“
    „Das verspreche ich Ihnen, Mylady.“
    „Ich wünsche
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