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Bleib bei mir, kleine Lady

Bleib bei mir, kleine Lady

Titel: Bleib bei mir, kleine Lady
Autoren: Barbara Cartland
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nur so blind sein, dachte Gracila jetzt.
    Und durch diese Blindheit war der Schock um so größer gewesen. Erst an diesem Nachmittag hatte sie erfahren müssen, wie die Dinge in Wirklichkeit standen, und noch jetzt empfand sie die bittere Wahrheit als physischen Schmerz.
    Der Herzog war gekommen, um die letzten Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen.
    Bis zum heutigen Tag hatte Gracila den Herzog nur selten gesehen. Und allein war sie mit ihm nur ein einziges Mal gewesen.
    Gracila hatte nicht einmal gewußt, daß der Herzog zu Gast war, und war daher höchst erstaunt gewesen, als sie in den Roten Salon gerufen worden war und ihn dort mit ihrem Vater zusammen vorgefunden hatte.
    Sie hatte einen Knicks gemacht, aber nicht gewagt, den Blick zu heben.
    „Gracila“, hatte ihr Vater gesagt, „deine Stiefmutter hat dir mitgeteilt, daß der Herzog um deine Hand angehalten hat, was uns eine große Ehre ist. Der Herzog wünscht mit dir zu sprechen, und ich ziehe mich daher zurück.“
    Damit war ihr Vater gegangen, und Gracila hatte Herzklopfen bekommen wie noch nie in ihrem Leben. Jetzt hatte sie natürlich erst recht nicht mehr gewagt, den Blick zu heben.
    „Ich bin überzeugt davon, daß wir zusammen glücklich sein werden, Gracila“, hatte der Herzog gesagt. „Ich hoffe, der Ring, den ich Ihnen mitgebracht habe, gefällt Ihnen.“
    Er hatte ihre linke Hand genommen und ihr einen Ring mit einem großen Brillanten angesteckt.
    „Vielen – Dank“, hatte Gracila gestammelt. „Der Ring ist – er ist sehr schön.“
    „Er ist seit fast fünfhundert Jahren im Besitz der Familie“, hatte der Herzog gesagt. „Es gibt noch ein dazu passendes Collier und ein Diadem. Beides werden Sie tragen, wenn wir erst verheiratet sind.“
    „Vielen Dank.“
    Da der Herzog nichts weiter sagte und Gracila dies seltsam fand, sah sie ihn an.
    Sein Blick war merkwürdig. Gracila hatte das Gefühl, als würde sie gemustert.
    Dann lächelte der Herzog plötzlich. „Sie sind sehr schön, Gracila“, sagte er. „Ich bin sicher, daß man schnell feststellen wird, daß Sie die schönste aller Herzoginnen von Radstock sind, und es hat in dieser Familie eine ganze Reihe von sehr schönen Frauen gegeben.“
    „Vielen Dank“, entgegnete Gracila.
    Und dann fragte sie sich plötzlich, ob er sie jetzt wohl küssen würde.
    Doch er führte lediglich ihre Hand zu seinen Lippen, und in diesem Augenblick kam auch schon ihr Vater wieder in den Salon.
    Später hatte sie herauszufinden versucht, wie sie zu dem Herzog stand.
    Er war zweifellos ein sehr gutaussehender Mann, doch seine Haut wirkte alt, seine Haare waren an den Schläfen schon grau, und seiner Figur fehlte die athletische Spannkraft eines jungen Menschen.
    Gracila hatte sich gefragt, ob sie gern von ihm geküßt worden wäre, und hatte erstaunt feststellen müssen, daß sie diesbezüglich keine Meinung hatte.
    Sie war noch nie in ihrem Leben geküßt worden, hatte sich einen Kuß jedoch immer als Ausdruck großer Liebe und als etwas Wundervolles vorgestellt. Aus Büchern glaubte sie zu wissen, daß die Liebe tiefe Gefühle erweckte und Menschen zu großen Taten veranlassen konnte.
    Sie hatte sich immer wieder gefragt, ob sie tiefe Gefühle für den Herzog empfand, hatte sich aber keine Antwort geben können. Auch dann noch nicht, als der Herzog am Tag darauf wieder abgereist war.
    Und heute, eine Woche vor dem Hochzeitstag, als er zurückgekommen war, hatte sie sich fest vorgenommen, es herauszufinden.
    Während der stundenlangen Anproben für ihre Garderobe hatte sie an nichts anderes gedacht.
    Gracila hatte sich ihren zukünftigen Mann immer als einen ritterlichen Menschen von der Abenteuerlust eines Odysseus und der Ausstrahlung und Schönheit eines Lord Byron vorgestellt. Weil ihre verschiedenen Gouvernanten Lord Byrons Gedichte strikt abgelehnt hatten, hatte Gracila sie heimlich in der Bibliothek gelesen.
    Und nach den Anproben hatte sie plötzlich den unwiderstehlichen Drang verspürt, die Gedichte zur Hand zu nehmen und zu versuchen, mit deren Hilfe Klarheit zu bekommen.
    Gracila war in die Bibliothek gegangen, hatte schnell den Gedichtband aus dem Regal genommen und war damit in dem Erker verschwunden, den man durch einen schweren roten Samtvorhang vom übrigen Raum abschließen konnte.
    Gracila hatte sich in das kleine Sesselchen gesetzt, hatte die Beine hochgeschlagen, das ledergebundene Buch aufgeschlagen und durch die Seiten geblättert, bis sie ihren Lieblingsvers
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