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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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Algen bilden wie in jedem Tümpel, in jedem Süßwasser, also auch im Wöhrder See bei einer anhaltenden Schönwetterperiode. Wenn Gerlach Moritz Rißmann mit Wasser aus seiner Regentonne ersäuft hat, sieht es in dessen Lunge genauso aus, als wäre er im Wöhrder See ertrunken. Und während er ertrank, musste seine Freundin zusehen und Cello spielen. Kascha, am Zulauf befand sich ein Hahn – verstehst du? Auf – zu – auf – zu! Er wollte, dass es dauert. Dieses verdammte Schwein!«
    Erziehungsmethoden , er hatte es nur   Erziehungsmethoden   genannt, dieses   unter verschärften Bedingungen , und er war stolz darauf, das konnte man hören. Es hatte Kascha den Magen umgedreht, als sich die Indizien nach und nach zu dem verdichteten, was er damit gemeint haben könnte. Noch ist einiges Spekulation, noch muss man warten, was Sandra erzählt, wenn sie irgendwann wieder spricht, aber schon ihr Schweigen, ihr Zittern, ihre wahnsinnige Angst erzählen eine beredte Geschichte von Macht und Ohnmacht, Wahnsinn und Tod.
    Gloßner hatte Kaffee gekocht, und die beiden Tassen dampften in der beginnenden Dämmerung leise vor sich hin. Das Zirpen der Grillen, dieser langgestreckte monotone Ton, der wie ein Band über allem Erleben liegt, hatte begonnen, seinen beruhigenden Zauber zu entfalten, die Welt mit all ihrem Grauen nach und nach auszublenden. Nicht einmal das Rumpeln im Gebüsch schreckte die beiden Menschen auf der weißen Plastikbank vor dem ehemaligen Zollhaus. Die Zeit tanzte einen ruhigen Walzer auf einem Band aus Grillenzirpen. Nur der Igel war offenbar irritiert, als er sie erblickte, und verschwand genauso rumpelig wieder im Gebüsch, wie er aufgetaucht war.
    »Sandra ist also zurückgekommen, um ihre Schwester vor diesem Irren zu schützen. Was passiert jetzt mit dem Mädchen?« wollte Gloßner wissen.
    »Ich habe sie in eine Spezialklinik am Bodensee einweisen lassen«, hatte Kascha geantwortet. Dann hatten sie eine lange Weile geschwiegen und dem Grillenwalzer und dem langsamen Fließen der Zeit zugehört.
    »Kascha, was hast du da eigentlich an?« hatte Gloßner irgendwann in das Schweigen hinein gefragt.
    »Gefällt dir das Teil? Hab ich in Gostenhof aufgetrieben. Da gibt’s einen ganz schrägen Modeladen,   Tollkirsche   heißt der, und die Inhaberin ist so eine ausgeflippte – Gloßner? Wieso schaust du so? Kennst du die wohl?«
    Nach einem kurzen Exkurs über die Ladeninhaberin und Hobbydetektivin Paula Rüss war sie schlafen gegangen. Es war ein langer Tag, es waren lange vierzehn Tage, die hinter ihr lagen. Es war eine ganze Welt mit Abgründen, so dunkel und tief wie eine Sommernacht in der Steinpfalz.
    Gloßner hatte noch ein Weilchen gesessen und dem dürren Schnipsel des Mondes mit einem letzten Zoigl zugeprostet. Zwei junge Käuzchen im Apfelbaum miepsten, wahrscheinlich hatte die Mutter kein Jagdglück. Morgen würde er Kascha erzählen, dass es manchmal die falschen Fährten sind, die einen auf die richtige Spur leiten. Morgen würde er ihr von der toten Nutte erzählen, deren Mörder schon vor über einem Jahr in Österreich gefasst worden war, und warum er die kleine Leonie lieber zum Landarzt in Schönsee als ins Krankenhaus nach Oberviechtach gebracht hatte. Und am Abend würden sie aufs Pascherspiel gehen.
     
    *
     
    Es ist ein Spiel.
    Das Spiel heißt Leben.
    Das Leben Fluss.
    Wie nah bist du gewesen, mein schöner Vogel.
    Wie hab ich dich geliebt.
    Wie hab ich dich gehasst, dein Lied gefürchtet.
    Singen solltest du, nicht krächzen!
    Die kleine Lunge war zu schwach –
    Angst trägt die Töne schlecht.
    Spült Mückenwürmer um die Beine und Wasser fließt.
    Wasser fällt.
    Eiskalt auf warmes Fleisch.
    Das war, als ich noch fühlen konnte, fühlen wollte.
    Treib du für mich den Fluß hinunter.
    Sammle Seegras und Blumen und Singen.
    Spiel, geliebter Vogel!
    Spiel!
    Ich warte.
    Warte.
    In deinen Träumen.
    Für immer.
     
     
     

Epilog
    Die Naturbühne auf dem Eulenberg, auf der die tschechische Schmugglerin Vanka ˇCermaková mitsamt ihren Verbündeten, Oberpfälzer und deutsch-böhmischen Bauern, von der berittenen Grenzpolizei auf frischer Tat ertappt und als Drahtzieherin verraten und ausgeliefert wurde, ist leer. Aber für das Publikum und für die Schauspieler ist der warme Sommerabend noch nicht zu Ende – unterhalb der Bühne herrscht Jahrmarktsatmosphäre, und es duftet nach frisch gebackenen Küchln, nach Kraut und Pascherwürsten. Gloßner lotst Kascha an die Theke
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