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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage!
Autoren: Christian Saehrendt
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Sozialphobiker wirken oftmals merkwürdig, gedankenverloren und distanziert, weil sie sich auf ihre Gesprächspartner nicht einlassen können, der Fokus ihrer Aufmerksamkeit liegt stets bei ihnen selbst. Und gelegentlich erscheint der Versuch, Angstsymptome zu verdecken, als unfreundlicher, abweisender, sogar arrogant-aggressiver Charakterzug.
    Totaler Rückzug – Hikikomori, Nesthocker und andere Einsiedler
    In Japan breitete sich in den letzten Jahren ein Phänomen namens Hikikomori aus. Damit sind Menschen gemeint, die sich völlig in die eigenen vier Wände zurückziehen – um absurderweise dabei in manchen Fällen bis zu 24 Stunden am Tag online zu sein, teilweise sogar mit eingeschalteter Webcam. Der Psychologe Tamaki Saito, der den Begriff prägte, behauptet, es gäbe in Japan bereits mehr als eine Million Hikikomori. Das Gesundheitsministerium dagegen gibt in einer vorsichtigeren Schätzung nur 50 000 »Erkrankte« an, ein Drittel davon älter als 30 Jahre. Ein realistischer Wert liegt vermutlich im Bereich von 600 000 bis 700 000. 88 Eine Hikikomori-Laufbahn beginnt in der Regel als Schulschwänzer infolge von Mobbing oder Leistungsüberforderung. Die Angst vor einem blamablen Versagen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und die Unfähigkeit, zwischen öffentlichem Auftreten und wahrem, privatem Ich zu unterscheiden, treiben sie in die Isolation. Zu dieser Entwicklung tragen die finanziellen Möglichkeiten der wohlhabenden Mittelschicht bei, auch ein erwachsenes Kind noch gut versorgen zu können. Oftmals erkennen die Eltern den beginnenden Isolationsprozess des Kindes nicht, oder sie reagieren falsch und erschweren durch übermäßiges Umsorgen seine Abnabelung und Selbständigkeit noch. Die Unfähigkeit, allein zu bestehen, ist offenbar eine Folge des gesellschaftlichen Wandels in Japan: vom Kollektivismus zum Individualismus. Kleinfamilie und Einzelkind dominieren inzwischen weithin das Bild. Der Erwartung, als Einzelner sein Leben zu meistern, fühlen sich manche nicht gewachsen und ziehen sich nach einigen oder einem als traumatisch empfundenen Misserfolg aus der Gesellschaft zurück. 89 Die Symptome des Hikikomori-Daseins beginnen schleichend. Schrittweiser Verlust der Lebensfreude, Abwendung von Freunden, zunehmende Unsicherheit, Scheu und abnehmende Kommunikationsbereitschaft sind ernste Anzeichen. Am Ende ziehen sich Hikikomori meist in einen einzigen Raum zurück und kapseln sich völlig von der Umwelt ab. Sie verbringen den Tag mit Schlafen und sind häufig nachtaktiv. Der steigende elterliche und gesellschaftliche Druck und die Unfähigkeit, sich aus der Situation selbst zu befreien, können bei Hikikomori zu starker Frustration oder auch zu unkontrollierter Wut führen. Diese äußert sich meistens in Form von Psychoterror und durch nächtlichen Lärm. Einen Hikikomori in der Familie zu haben ist den Angehörigen wiederum äußerst peinlich, was eine hohe Dunkelziffer vermuten lässt. Die Kinder, die aus Angst vor Blamagen ihr Zimmer nicht mehr verlassen, blamieren damit wiederum umso stärker ihre fassungslosen und hilflosen Eltern. Diese verdrängen und verstecken oftmals das Problem, statt offensiv damit umzugehen und sich Selbsthilfegruppen anzuschließen. So wird eine dringend notwendige Behandlung häufig verschleppt.
    Eine etwas mildere Form des gesellschaftlichen Rückzugs stellen die sogenannten NEET s dar ( Not currently engaged in Employment, Education or Training ). Mit dieser in Großbritannien entstandenen, mittlerweile aber auch international verwendeten Abkürzung werden Personen bezeichnet, die weder arbeiten, studieren noch sich weiterbilden wollen und sich von ihren Eltern aushalten lassen. Auch Japan kennt diesen Typus des »parasitären Singles« ( parasaito shinguru ), Menschen der Altersgruppe zwischen 20 und 30, die keinen eigenen Haushalt, keine eigene Familie gründen, sondern noch bei ihren Eltern leben. Diese, in den letzten Jahrzehnten stark angewachsene Gruppe umfasst mehrere Millionen und wird unter anderem für den erheblichen Rückgang der Geburtenrate verantwortlich gemacht. Einige von ihnen wollen sich dem Wettbewerb der feindlichen Außenwelt auch gar nicht mehr stellen, suchen gar keine Arbeit mehr oder nur solche mit möglichst bequemen Rahmenbedingungen und daher meist niedrigem Einkommen. Vom Hikikomori-Syndrom sind außer Japan auch
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