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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer
Autoren: Kevin Brooks
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noch.
    »Er hat mir gesagt, ich soll nicht weinen«, schluchzte Raymond, während er das Loch füllte, »aber ich kann es nicht ändern.«
    »Wer?«, fragte ich und dachte, er spräche von seinem Dad. »Wer hat gesagt, du sollst nicht weinen?«
    »Black Rabbit...«, antwortete Raymond heftig schniefend |23| und wischte sich den Rotz von der Nase. »Ich weiß, was ich tun muss... ich meine, ich weiß, dass er nicht tot ist.«
    »Was soll das heißen?«
    »Er hat mir gesagt, ich soll ihn nach Hause bringen.«
    Damals hatte ich keine Ahnung, was Raymond meinte, doch als ich am nächsten Tag bei ihm vorbeikam und sah, dass er in der Tierhandlung ein neues schwarzes Kaninchen gekauft hatte... na ja, natürlich verstand ich noch immer nicht, wovon er sprach, doch irgendwie begriff ich zumindest, was er meinte. Denn in Raymonds Augen war das Kaninchen, das er sich aus der Tierhandlung geholt hatte, nicht einfach ein neues schwarzes Kaninchen, sondern es war genau derselbe Black Rabbit. Mit denselben Augen, denselben Ohren, demselben pechschwarzen Fell... derselben flüsternden Stimme.
    Raymond hatte getan, was ihm aufgetragen worden war – er hatte Black Rabbit nach Hause gebracht.

    Ich zitterte wieder. Der Schweiß auf der Haut war inzwischen getrocknet, mir war nicht mehr ganz so heiß und ich hätte wieder ins Bett gehen können. Trotzdem blieb ich noch eine Weile am Fenster stehen, dachte an Raymond und fragte mich, ob er da draußen war... in der Dunkelheit saß und dem Geflüster in seinem Kopf lauschte.
    Schöner Himmel heute Abend.
    Dieses gute hölzerne Haus.
    Stroh riecht blauen Himmel
.
    Ich dachte an das, was Nic gesagt hatte – dass Raymond bestimmt nicht mit auf die Kirmes wolle am Samstag. Wahrscheinlich hatte sie recht. Ich war mir ziemlich sicher, dass er Lust hätte, wenn nur wir beide, er und ich, hingingen, aber |24| ich hatte meine Zweifel, was er davon halten würde, sich mit den andern zu treffen. Ich wusste ja selber nicht, was ich davon halten sollte. Nicole und Eric? Pauly Gilpin? Es kam mir vor wie... keine Ahnung. Wie eine Reise in die Vergangenheit: zurück in die Grundschulzeit, als wir alle hinten in der letzten Reihe der Klasse zusammensaßen; zurück in die Mittelstufenzeit, als wir auf dem Schulhof die andern immer im Auge hatten, nach der Schule gemeinsam rumhingen und die Wochenenden und Ferien zusammen verbrachten...
    Damals waren wir Freunde.
    Es gab Verbindungen. Nicole und Eric waren Zwillinge, Nic und ich taten so, als wären wir verliebt, Pauly bewunderte Eric, Eric passte auf Nic auf...
    Verbindungen eben.
    Aber das war damals und damals war alles anders. Wir waren anders. Wir waren Kinder. Und jetzt waren wir keine mehr. Wir waren in die Sekundarstufe gekommen, wir waren dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn geworden... und die Dinge hatten sich nach und nach verändert. Wie das eben so geht – die Welt wird größer, man driftet auseinander, die Freunde aus der Kindheit werden zu Leuten, die man mal gekannt hat. Ich meine, man
kennt
sie natürlich weiter, sieht sich noch Tag für Tag in der Schule und sagt wie üblich Hallo... aber sie sind nicht mehr das, was sie mal waren.
    Die Welt wird größer.
    Natürlich verändert sich nicht alles.
    Raymond und ich hatten uns nie verändert. Unsere Welt war nie größer geworden. Wir waren Freunde seit jeher. Wir waren schon Freunde gewesen, ehe die andern dazukamen, wir waren Freunde gewesen, wenn wir mit den andern zusammen waren, aber auch unabhängig von ihnen, und in |25| vieler Hinsicht waren wir
trotz
der anderen Freunde gewesen.
    Wir waren
Freunde
.
    Damals
wie
heute.
    Deshalb war die Vorstellung, dass wir uns alle am Samstag treffen sollten... also irgendwie war es ein merkwürdiges Gefühl. Ein bisschen unheimlich, glaube ich. Geradezu sinnlos. Aber zugleich auch irgendwie aufregend. Aufregend auf eine merkwürdig-unheimlich-sinnlose Art.

    Ich hatte mich vom Fenster abgewandt und starrte hinüber zu dem schwarzen Kaninchen aus Porzellan, das auf meiner Kommode stand. Es war Raymonds Geschenk zu meinem sechzehnten Geburtstag. Ein schwarzes Kaninchen aus Porzellan, fast lebensgroß, das auf allen vieren sitzt. Es war richtig schön – ganz glatt und glänzend, mit leuchtenden schwarzen Augen, einer Blumengirlande um den Hals und einem Gesichtsausdruck wie in Gedanken versunken. Es sah aus, als würde das Kaninchen an etwas denken, das vor langer Zeit geschehen ist, irgendetwas Trauriges, etwas, das es nie mehr vergessen
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