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Black Box

Black Box

Titel: Black Box
Autoren: Joe Hill
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erhielt er eine Antwort: Noonan war außerordentlich erfreut, dass Carroll »Buttonboy« in Best New Horror veröffentlichen wollte. Er hatte zwar keine E-Mail-Adresse von Peter Kilrue, aber er nannte ihm eine Adresse in einer etwas einfacheren Gegend und gab ihm eine Telefonnummer.
    Der Brief, den Carroll schrieb, kam jedoch mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt verzogen« an ihn zurück, und als er die Telefonnummer wählte, erklärte ihm eine Tonbandstimme: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Daraufhin rief Carroll Noonan in der Kathadin University an.
    »Das überrascht mich nicht unbedingt«, sagte Noonan mit sanfter Stimme. Er sprach schnell, geriet jedoch aus Schüchternheit immer wieder ins Stocken. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass er hier länger bleiben wollte. Ich glaube, dass er mehrere Teilzeitjobs hatte, um sich über Wasser zu halten. Wahrscheinlich wäre es am besten, sie rufen Martin Boyd bei der Meldebehörde an – der hat sicher etwas über Kilrue in den Akten.«
    »Wann haben Sie ihn denn das letzte Mal gesehen?«
    »Letzten März. Kurz nachdem ›Buttonboy‹ veröffentlicht wurde, habe ich bei ihm vorbeigeschaut. Damals kochte die allgemeine Empörung gerade so richtig hoch. Die Leute behaupteten, seine Geschichte sei eine menschenfeindliche Hasstirade, er solle sich öffentlich entschuldigen und dergleichen Unfug mehr. Ich wollte ihm erzählen, was los war, und hoffte im Stillen, er würde sich irgendwie zur Wehr setzen, vielleicht eine Verteidigung seiner Geschichte für die Studentenzeitung schreiben oder so – aber das wollte er nicht. Damit würde er nur Schwäche zeigen, sagte er. Eigentlich war das eine ziemlich merkwürdige Unterhaltung. Er ist ein seltsamer Typ. Nicht nur seine Geschichten sind so, er ist es auch.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Noonan lachte. »So genau weiß ich das auch nicht. Wie soll ich das sagen? Das kennen Sie doch bestimmt: Wenn man Fieber hat und etwas Stinknormales anschaut – eine Schreibtischlampe zum Beispiel –, und plötzlich sieht sie völlig abnormal aus. So, als ob sie sich jeden Moment auflösen oder sich gleich davonmachen würde. So ähnlich war es, sich mit Peter Kilrue zu treffen. Ich weiß auch nicht, warum. Vielleicht weil er sich so intensiv mit so verstörenden Dingen beschäftigt hat.«
    Carroll hatte zwar noch kein Wort mit Kilrue gewechselt, aber schon Gefallen an ihm gefunden. »Was meinen Sie damit? Erklären Sie es mir.«
    »Als ich ihn besuchte, hat mir sein Bruder die Tür aufgemacht. Er war nur halb angezogen, wahrscheinlich wohnte er bei ihm, und dieser Kerl war – ich möchte nicht taktlos sein –, aber er war wirklich entsetzlich fett. Und er war überall tätowiert. Ganz schreckliche Tätowierungen. Auf seinem Bauch prangte eine Windmühle, an der verweste Leichen baumelten. Auf dem Rücken war ein Fetus mit … überkritzelten Augen, einem Skalpell in der Faust und Reißzähnen.«
    Carroll lachte, ohne sich darüber klar zu sein, was er eigentlich lustig fand.
    »Aber er war ein netter Kerl«, fuhr Noonan fort. »Umwerfend freundlich. Er bat mich herein, brachte mir eine Limonade, und wir setzten uns alle aufs Sofa vor den Fernseher. Und – das ist jetzt wirklich komisch: Während wir redeten und ich ihnen von der allgemeinen Empörung berichtete, saß der ältere Bruder auf dem Boden, und Peter verpasste ihm ein Piercing.«
    »Er tat was?«
    »Himmel, ja! Wir haben uns unterhalten, und plötzlich sticht er seinem Bruder eine heiße Nadel durchs Ohr. Das hat geblutet wie sonst was. Als der fette Kerl aufstand, sah es aus, als hätte ihm jemand von der Seite in den Kopf geschossen. An seinem Schädel lief Blut herunter wie beim Showdown von Carrie, als hätte er darin gebadet. Und dann fragte er mich, ob er mir noch eine Cola holen soll.«
    Dieses Mal lachten sie alle beide, und für einen Augenblick herrschte eine fast freundschaftliche Stille.
    »Außerdem schauten sie sich gerade eine Sendung über Jonestown an«, platzte Noonan unvermittelt heraus.
    »Hm?«
    »Im Fernsehen. Ohne Ton. Während wir redeten und Peter seinen Bruder durchlöcherte. In gewisser Hinsicht hatte das gerade noch gefehlt – alles wirkte so absolut irreal. Die Aufnahmen zeigten die Leichen in Französisch-Guayana. Nachdem sie das Kool-Aid getrunken hatten. Überall auf den Straßen lagen Leichen herum, und die Vögel … nun ja, die Vögel pickten an ihnen herum.« Noonan schluckte schwer. »Ich glaube, dass es ein Endlosband war, ich hatte
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