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Bittersueße Sehnsucht

Bittersueße Sehnsucht

Titel: Bittersueße Sehnsucht
Autoren: Tanja Rauch
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Siebensachen zusammen und verließ fluchtartig das Schulgebäude. Es war mir egal, dass ich Monika einfach ohne ein Wort stehen gelassen hatte und es war mir auch egal, was die Lehrer sagen würden. Ich wollte nur noch nach Hause! Zu Hause, das war der einzige Ort, an dem ich mich sicher fühlte. 
    Dafür musste ich aber noch etwa eineinhalb Kilometer quer durch die Stadt laufen. Ich nahm die Leute um mich herum nur als verschwommene Farbkleckse wahr, denn die Tränen strömten mir in Sturzbächen die Wangen hinunter. Was bildete sich Mischa eigentlich ein?! Dieser Vollidiot! Es war sein Hobby, die vermeintlich Schwächeren nieder zu machen. Ich schämte mich so sehr, für das, was heute passiert war und betete, dass ich einfach tot umfallen möge. Wenn ich tot wäre, musste ich nicht mehr zurück auf diese Schule, in diese grauenhafte Klasse! Nein, noch besser! Mischa sollte tot umfallen – als Strafe für das, war er mir angetan hatte. Ein hämisches Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich war so vertieft in meine Rachegedanken, dass ich kaum wahrnahm, wie ich die Haustür aufsperrte und eintrat. 
    Mein Vater war natürlich arbeiten und unsere Putzfrau Frau Lennart hatte ihre Arbeit für heute schon beendet. Das Haus war ordentlich und blank geputzt, so wie es Paps am liebsten hatte. Mein Zimmer, in dem meistens die Wäsche verstreut auf dem Boden lag, war die einzige Ausnahme. Ich hatte lange mit Papa diskutiert, als ich ihm endlich klar machen konnte, dass Frau Lennart mein Zimmer nicht aufzuräumen hatte. Schließlich zuckte er mit den Schultern und gab nach. Ich wollte nicht, dass ein fremder Mensch in meinen persönlichen Sachen wühlte.
    Als ich mein Zimmer betrat, fühlte ich, wie das beengende Gefühl in meinem Brustkorb langsam nachließ. Seufzend ließ ich mich rückwärts aufs Bett fallen und starrte an die Decke. Als ich jedoch die Augen schloss, spielten sich vor meinem inneren Auge die schrecklichen Szenen von heute Vormittag immer und immer wieder ab. Ich legte meine Hände auf die Augen und rieb so lange, bis es schmerzte. Ich wollte diese Bilder nicht sehen! Die Wut keimte erneut in mir auf. Büßen sollte Mischa für das, was er getan hat! Gab es denn keine Gerechtigkeit auf dieser Welt?!
    Um mich abzulenken, schaltete ich meine Stereoanlage ein und legte meine Lieblings-CD ein. Die ersten Töne erklangen und ich summte leise mit, während ich aufstand, zu meinem Schreibtisch tänzelte und meinen Zeichenblock rauskramte. Das Zeichnen war so eine Art Seelentherapie für mich – meine Art, mich auszudrücken. Ich kritzelte drauf los, ohne zu wissen, was ich da überhaupt zeichnete. Als ich den Stift beiseite legte und auf das Blatt blickte, erstarrte ich. 
    Auf dem Papier erkannte ich zwei Menschen. Einer stand auf einer Brücke und blickte auf die zweite Person, die sich unter der Brücke im Wasser befand. Der Gesichtsausdruck dieser Person zeugte von Todesangst. Doch die Gestalt auf der Brücke lächelte nur und macht keinerlei Anstalten, den Ertrinkenden aus dem Wasser zu ziehen. Ich fröstelte, denn obwohl diese Zeichnung von mir stammte, hatte ich keine Ahnung, wie ich darauf gekommen war, so etwas zu malen. Hektisch riss ich das Blatt aus dem Zeichenblock, zerknüllte es und warf es in auf den Boden. Gruselig! Verunsichert räumte ich meinen Bleistift und den Block beiseite und holte mir ein Buch aus dem Regal.
    Ich legte mich seitlich aufs Bett und begann zu lesen. Irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, war es draußen schon fast dunkel. Ich rieb mir die Augen und setzte mich steif auf. Meine Arme kribbelten, anscheinend war ich in einer ziemlich unbequemen Position eingeschlafen.
    Ich lauschte kurz, um zu hören, ob Papa schon zu Hause war. Von unten ertönte gedämpftes Stimmengewirr gemischt mit Musik, wahrscheinlich saß er schon vor dem Fernseher. Ich schwang die Beine über die Bettkante und stand auf. Einen kurzen Moment wurde mir schwindelig, doch das Gefühl verschwand genauso plötzlich, wie es gekommen war. An der Treppe blieb ich kurz stehen. Die Stimmen waren nun deutlicher zu hören und ich fragte mich, was das wohl für ein Film war. Es hörte sich an, als säßen lauter fremde Leute in unserem Wohnzimmer. Langsam stieg ich die Stufen nach unten und hielt mich am dunklen Holzgeländer fest. Ein schwacher Lichtschein fiel aus dem Wohnzimmer in den dunklen Flur. Je weiter ich nach unten kam, umso lauter wurden die Stimmen.
    „Papa?“
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