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Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern
Autoren: Elisabeth Lukas
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Hysteriker zählen in Wahrheit zu den ärmsten Menschen. Was sie sich über Krankheiten holen, ist nichts wert. Ließen sie im Gegensatz dazu alles los, was sie sich holen wollen, verzichteten sie auf allen ersehnten Aufmerksamkeitsgewinn und lebten sie besonnen und bescheiden, könnte ihnen das Glück ganz unerwartet begegnen. Die Oma, die ihrer sie pflegenden Tochter eine Urlaubsreise schenken würde, bekäme eine freiwillige Umarmung als Dank. Die Frau, die ihrem Mann einen selbstgebackenen Apfelkuchen für seine Freunde mitgäbe, bekäme einen herzlichen Kuss auf die Stirn.
    Die Hysterie ist eine Krankheit, die nur mit der Paradoxie zu heilen ist, die Frankl in die wunderschönen Worte gekleidet hat:
    „Nicht was ich behalte, behält Wert
,
    sondern was ich opfere, erhält Wert.“
    Variiert:
    Nicht, was ich anderen abpresse
,
    stillt meinen Liebeshunger
,
    sondern was ich an andere preisgebe
,
    macht mich satt.

Ist Belohnung effizient?
    In der Psychotherapie ist die (verhaltenstherapeutische) Idee verbreitet, Verhaltensmuster wie die des Hysterikers durch ein ausgetüfteltes Belohnungssystem einzudämmen. Ein Ehemann soll seine Frau am Abend eines jeden Tages loben, an dem sie ihn nicht mit demonstrativen Wehwehchen gequält hat. Es wird eine Liste angelegt, in die sie „Punkte für erwünschtes Verhalten“ eintragen darf, und für 25 gesammelte Punkte gibt es einen Shoppingausflug. Der Haken an der Sache ist nicht nur die eher primitive „Dressur-Strategie“, sondern auch, dass die berechnende Komponente bei solchen Patienten damit noch verstärkt wird. Alsbald fragen Patienten: „Was bekomme ich dafür, wenn ich mich normal verhalte?“ Ein Feilschen um Gewinne beginnt …
    Eventuell geeignet ist ein Belohnungssystem für Kinder, die noch kaum Zugang zu einer selbst auferlegten Selbstdisziplin um eines Wertes willen haben. Und doch ist auch in diesem Fall Skepsis angebracht. Von 1973 bis 1986 habe ich in Erziehungs- und Familienberatungsstellen gearbeitet, neun Jahre davon in leitender Position. In dieser Zeit habe ich gemeinsam mit Heilpädagoginnen u. a. verhaltenstherapeutische Programme bei auffälligen Kindern erprobt. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das sich für jeden Tag, an dem es seinen kleinen Bruder nicht boxte, eine Spielsonne in den Kalender kleben durfte. Es freute sich über die Bildchen, und das Boxen hörte auf. Wehe aber, wenn das Mädchen an einem Tag seine Spielsonne bereits verwirkt hatte, weil es morgens „irrtümlich“ wieder einmal geboxt hatte. Dann war ihm klar, dass es den ganzen Tag lang boxen konnte, soviel es wollte, da es sowieso kein Bildchen mehr zu erwarten hatte. Also holte es alles an Boxschlägen nach, worauf es in den vergangenen Wochen verzichtet hatte, um die Spielsonnen zu erhalten.
    Sieht so eine „erfolgreiche Verhaltensänderung“ aus? Ich erinnere mich an einen Jungen, der versprochen bekam, an jedem Tag, an dem er sorgfältig seine Hausaufgaben machen würde, 50 Pfennig zu erhalten. Da er auf ein kleines Kofferradio sparte, gab er sich plötzlich große Mühe mit seinen Schularbeiten. Doch eines Sonntags kam seine Oma zu Besuch und schenkte ihm 30 DM. Von dieser Stunde an schlampte der Junge bei den Hausaufgaben wie früher, weil er genügend Geld für sein Radio beisammen hatte.
    Das therapeutische Programm wurde abgewandelt. Nunmehr durfte der Junge nach jeder ordentlichen Aufgabenerledigung eine Stunde lang Radio hören; wurden die Schularbeiten hingegen vernachlässigt, gab es keine Radiomusik. Wieder ging es einigermaßen gut mit ihm, allerdings nur solange, als ihn das neue Radio interessierte. Später wollte er lieber Comics lesen als Radio hören, daher kritzelte er seine Hausaufgaben erneut flüchtig hin und legte sich danach ohne Radiomusik auf sein Bett, um Heftchen zu lesen.
    Das Programm sollte nochmals variiert werden, aber ich spielte nicht mehr mit. Man soll einem Kind die Erfüllung seiner kleinen Pflichten nicht „abkaufen“, weil jeder Mensch irgendwann lernen muss, seine Pflichten auch ohne unmittelbare Belohnung zu erfüllen.
    Ein anderer Junge, der nach verhaltenstherapeutischem Programm jeden Samstag schwimmen gehen durfte, wenn er während der ganzen Woche kein Geld aus Mutters Geldbörse geklaut hatte, nahm eines Tages seelenruhig einen Hundertmarkschein seiner Mutter an sich, um eine Quarzuhr zu erstehen. Darauf angesprochen erklärte er, die Uhr sei ihm wesentlich lieber gewesen als das übliche Bad, und er könne ja
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