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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens
Autoren: Dörthe Binkert
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Berlin besucht und plötzlich das Bedürfnis
     verspürt, ihnen wieder näher zu sein. Als ihm eine vielversprechende Stelle bei einer Berliner Zeitung angeboten wurde, ließ
     er sich in Berlin nieder. So war der Kontakt zu Edward zwar nicht abgebrochen, aber doch lockerer geworden. Und Fabrizio hatte
     James seit dem Sommer in Maloja nicht mehr wiedergesehen, obwohl beide sich das fest vorgenommen hatten.
    Achille Robustelli freute sich, als er von James die Nachricht erhielt, dass die Freunde sich im Hotel Kursaal wiedertreffen
     wollten. Er erinnerte sich noch gut an alle. Das Hotel hieß jetzt Maloja Palace, aber Achille Robustelli bekleidete immer
     noch dieselbe alte Stelle. Er war gerührt, dass James ihn nicht nur gebeten hatte, die Zimmer zu reservieren, sondern auch
     im Namen seiner Freunde darauf bestand, dass Robustelli als Gast an dem geplanten Abendessen teilnahm.
    ***
    Im Laufe des 22.   September 1899 trafen alle in Maloja ein, drei Jahre nach dem glänzenden venezianischen Ball, derdamals die Saison beschlossen hatte. Den Gästen war das glänzende gesellschaftliche Ereignis in Erinnerung geblieben, für
     Achille Robustelli war die Erinnerung daran mit Nika verknüpft, für die sich an diesem Tag das Geheimnis ihrer Herkunft gelichtet
     hatte.
    Er wusste, dass es müßig war, darüber nachzudenken, warum er sich selbst und ihr seine Gefühle nicht hatte eingestehen können.
     Denn auch wenn er Nika seine Liebe erklärt hätte, hätte er darüber hinaus das ihm eigene Pflichtgefühl verletzen, Andrina
     die Verlobung aufkündigen und sein Ehrenwort brechen müssen. Das aber wäre ihm, der von Kindheit an gelernt hatte, dass man
     hinter der Sache, der man sich verpflichtet hat, zurückstehen muss, ganz und gar unmöglich gewesen. Das Vorbild seines Vaters
     warf einen zu großen Schatten auf sein Leben. Und Nika? Wie hätte sie schon reagieren können. Er wusste nicht, was sie für
     ihn, Achille, empfand, unter anderen Umständen empfunden hätte. Und musste sie nicht, in ihrer Situation, frei und ungebunden
     in die Zukunft ziehen?
     
    Der Herbst war sehr kühl in diesem Jahr 1899.   Der Raureif überzog die großen, weichen Polster aus Gras, sie schimmerten in der Morgensonne wie silberne Bürsten. Ein paarmal
     hatte es schon heftig bis ins Tal hinab geschneit.
    Achille stand vor dem Eingang des Hotels. Es fröstelte ihn in seinem eleganten dunklen Anzug. Er schlug den Kragen hoch, was
     nicht viel nützte, hauchte in seine Hände, rieb sie aneinander und verschränkte sie auf dem Rücken. Man hätte ihn für einen
     der gut aussehenden italienischen Gäste halten können, die gerade abreisten – wieder einmal stand das Ende der Saison vor
     der Tür.
    Einer der Freunde, die sich heute hier treffen wollten, hatte abgesagt: Segantini war zum Schafberg aufgebrochen, er wolltedie letzten Herbsttage unbedingt nutzen, um an seinem Bild »La Natura« zu arbeiten, dem Mittelstück zu dem geplanten Triptychon
     »La Vita   – La Natura   – La Morte«, das er bei der Weltausstellung 1900 in Paris zeigen wollte. Seine kühne, hochfliegende Idee eines Alpenpanoramas
     war aus finanziellen Gründen gescheitert. Das zu dessen Realisierung gegründete Komitee aus Hoteliers, Bankiers, Politikern
     und Journalisten hatte ihm am 28.   Januar 1898 brieflich die abschlägige Entscheidung übermittelt. Segantini hatte die Vorschläge des Komitees zu einer Redimensionierung
     des Projekts abgelehnt und sich stattdessen entschlossen – da Grubicy von der Idee begeistert war   –, das Projekt in Form eines Triptychons im italienischen Pavillon auszustellen. Die Zeit für die Fertigstellung des ehrgeizigen
     Plans war knapp.
    Den linken Teil des Triptychons, »La Vita«, hatte er schon im Frühjahr 1897 in Soglio begonnen und weit vorangetrieben. Das
     Bild zeigt die Gipfel der Scioragruppe über dem Bodascatal von Soglio aus. Den rechten Teil des Triptychons, das Gemälde »La
     Morte«, hatte er sogar noch vor »La Vita« begonnen und beiseitegestellt, da es praktisch fertig war.
    Das Mittelstück, »La Natura«, sollte den Blick vom Schafberg über die Oberengadiner Seen zum Bergell hin festhalten. Segantini
     hatte das Bild aufgrund seiner Erinnerung an einen früheren Aufstieg und mit Hilfe verschiedener Fotografien konzipiert und
     den Vordergrund in der Nähe von Maloja gemalt. Jetzt wollte er das Bild vor Ort vollenden.
    Robustelli war eben dabei, wieder ins Haus zu gehen, als eine Kutsche
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