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Bienensterben: Roman (German Edition)

Bienensterben: Roman (German Edition)

Titel: Bienensterben: Roman (German Edition)
Autoren: Lisa O'Donnell
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den Händen geschnappt, ihre Kindheit wurde verschlungen. Nelly dagegen klammert sich an ihrer Kindheit fest, wirkt verletzlicher. Leider wächst sie zur Frau heran, und das für meine Begriffe sehr schnell, genau wie meine Cousine Sue: mit elf Brüste und mit zwölf die Regel. Die arme Sue. Am Ende hat sie nie geheiratet, hat auch keine Kinder bekommen. Ihre Mutter hatte solche Angst, das Mädchen könnte schwanger werden, dass sie ihm jede Lebensfreude genommen hat, und so ist Sue zu Hause geblieben und hat ihre Mutter gepflegt, bis sie starb. Sie wäre noch vor ihrem eigenen Schatten davongelaufen.
    Nelly ist ein helles Köpfchen und spielt Geige wie eine Profimusikerin. Anfangs hat sie sich nicht recht getraut, mir etwas vorzuspielen, so als müsste sie sich verstecken, aber ihre Schwester hat sie angestachelt und ihr gesagt, es wäre wichtig, also hat sie es getan. Ach, wie sie strahlte! Und trotzdem spürt man unweigerlich ihre innere Traurigkeit, ihre Verletzungen.
    Nelly ist ganz anders als Marnie. Sie wirkt weniger weltlich. Nelly hat eine recht eigene Art zu reden, so als hätte sie ein Wörterbuch gefrühstückt, keine unangenehme Eigenschaft in Anbetracht der Ausdrucksweise hier in der Gegend, aber es will auch nicht recht passen. Sie ist ein flottes Mädchen, sie hat einen tollen Körperbau und zieht überall Blicke auf sich; sie wird ihren Weg finden. Von den Eigenheiten des Schönen nehmen die Leute ja meist keine Notiz, und ich vermute, man wird ihre seltsame Art als angebrachte Distanziertheit deuten. Vor allem braucht das Mädchen Eltern. Beide Mädchen. Die armen Dinger.
    Nelly hat gefragt, ob ich ihr mit dem Lavendel helfe. Ich habe zuerst gezögert, wie gesagt, er wird nicht gedeihen bei dem Wetter, aber man will ja niemanden verletzen, außerdem hat Bobby dauernd die Erde hochgewühlt und kam nicht, als ich ihn rief. Dieser dämliche Hund, manchmal will er einfach nicht hören. Und er gräbt immer wieder meinen Efeu aus. Außerdem hatte ich Sorge, die Eltern könnten plötzlich zurückkommen. Der Vater würde mich erschlagen. Ich bin trotzdem rübergegangen, konnte gar nicht schnell genug rüberhuschen, um ehrlich zu sein. Es tut so gut, mit jemandem zu reden, und hier in der Gegend spricht ja kaum noch jemand mit mir. Da tauchte plötzlich die Ältere auf. Womöglich fängt sie an zu schreien und ruft um Hilfe, ging es mir durch den Kopf, aber das tat sie nicht. Sie wirkte so müde, dass ihr offenbar alles egal war. Wir hielten einen Plausch über Gartenarbeit und ihren Lavendel, über meine Rosen und darüber, wie es auf der Straße aussieht (im Moment liegt alles voller Müll). Dann habe ich die beiden zum Abendessen eingeladen. Offensichtlich sind sie allein, und niemand sollte an Silvester allein sein. Zuerst zögerten sie ein wenig, was auch gut ist, aber Bobbys Schwanzwedeln hat ihnen wohl gezeigt, dass keinerlei Gefahr droht, also haben sie zugesagt, und wir hatten einen wunderbaren Abend.
    Ach Joseph, es war so herrlich, wieder mit jemandem zu reden und jemanden zu bekochen! Danach habe ich mit Marnie zusammen den Abwasch erledigt, und wir haben uns unterhalten. Nelly hat ferngesehen und zum Nachtisch den halben Apfelkuchen und eine ganze Dose Vanillesoße gegessen. Sie muss halb verhungert gewesen sein. Da hat Marnie dann nach meiner Vorstrafe gefragt, und wie gesagt, Lügen ist zwecklos, auch wenn ich immer noch staune, wie locker sie es genommen hat. Eine Art Achselzucken, weiter nichts, so als hätte sie schon Schlimmeres gehört, und das gab mir ein ungutes Gefühl, denn egal, wo sie herkommt, sie muss wissen, dass ich ein Kind ausgenutzt habe, seine Armut und seine Verzweiflung, weil ich meine eigene für wichtiger erachtete. Es spielt keine Rolle, dass ich nicht wusste, wie alt er war. Ich hätte es einfach nicht tun dürfen, selbst wenn er neunundzwanzig gewesen wäre. Wenn ich daran denke, wird mir ganz elend zumute.
    Marnie hat erzählt, ihre Eltern seien in die Türkei verreist. Sie hat mich gebeten, nichts zu sagen, und ich werde mich daran halten. Morgen kommen Nelly und Marnie wieder. Sie haben nicht gefragt, ich habe es von mir aus angeboten. Ich bin froh über etwas Gesellschaft. Ich werde eine Rindfleischpastete und Bratkartoffeln machen, dazu Erbsen und vielleicht einen Himbeer- und Brombeer-Crumble. Wie du diesen Auflauf geliebt hast, und ich habe das Rezept gehütet wie meinen Augapfel. Ich wollte es dir nicht geben, für den Fall, dass du mich verlässt und es dann
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