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Bienensterben: Roman (German Edition)

Bienensterben: Roman (German Edition)

Titel: Bienensterben: Roman (German Edition)
Autoren: Lisa O'Donnell
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und mir gefällt es auch, außer wenn sie die Geige einfach irgendwo mittendrin rausholt und mit Bach loslegt, weil, das macht sie nämlich manchmal, in der U-Bahn, in einem Buchladen auf der Sauchiehall Street und einmal im Bus nach Wemyss Bay. Es stört keinen, weil sie so gut ist, aber irgendwie ist es mir peinlich, wenn sie dann so abgeht und ich daneben mit einer Kippe in der Hand wie eine Wildfremde, als ob wir gar nicht zusammengehören.
    Noch so eine Macke von Nelly ist, wie sie redet. Meistens klingt sie wie die Queen von England. Sie sagt nicht Mum , sie sagt Mutter , und sie sagt nicht Dad , sondern Vater . Sie hat so Sätze im Kopf wie »Was zum Teufel geht hier vor sich?« und »Was in aller Welt soll dieses Affentheater?«. Ich hab sie auch schon »bestürzt« und »Donnerwetter« sagen hören. Macht mich wahnsinnig. Ich muss sie dauernd vor irgendwelchen Bekloppten beschützen, die sich von ihr verarscht fühlen. Sie trägt auch eine Brille, so eine mit runden Gläsern wie Harry Potter, von dem ist sie seit Neuestem richtig besessen, und sie trägt sie wie eine echte Brille, nur dass es keine ist. Letztes Jahr zu Weihnachten hat Izzy ihr einen Zauberumhang geschenkt, aber sie zieht ihn nur im Haus an, bis auf ein Mal zum Müllrausbringen.
    Nelly hat einen leichten Schatten, so sieht’s aus, sie ist nicht zurückgeblieben oder so, bloß anders. Sie hat nicht viele Freunde, sie lacht nicht oft, und wenn man über irgendwas Ernstes mit ihr redet, wird sie ganz still, so als ob sie es aufsaugt und im Kopf neu arrangiert. Keine Ahnung, wie sie es arrangiert, ich weiß nur, dass es anders ist, als ich es vielleicht machen würde. Sie nimmt auch alles sehr wörtlich, deshalb muss man aufpassen, was man sagt. Wenn ich zum Beispiel sagen würde: »Du hast sie echt nicht mehr alle«, würde sie so was antworten wie: »Ich kann dir versichern, Marnie, um meine geistige Gesundheit ist es bestens bestellt!« Ehrlich gesagt frag ich mich, warum sie noch nicht tot ist. So kann man nicht reden, nicht in Maryhill.
    Geht einem irgendwann auf den Kranz, sogar den Lehrern, die kommen so gar nicht mit ihr klar. Nach der Grundschule haben sie sie in eine Klasse voller Oberarschlöcher gesteckt, aber mitten im Schuljahr mussten sie sie wieder rausnehmen, weil sie voll das Brain in Naturwissenschaften ist. So richtig einsteinmäßig, und dann natürlich die Geige. Sie tut mir leid. Ich meine, sie kann ja nichts dafür, dass sie so ist, sie will ja gar nicht alles sagen, was sie im Kopf hat. Sie kann einfach nichts dafür, wie das eine Mal, als sie dem toughesten Mädchen in ihrem Jahrgang, Sharon Henry, gesagt hat, sie soll sich »untenherum« waschen, weil Nelly ihre »Verdorbenheit« riechen kann. Ohne Scheiß. Da kennt die nichts. Sie hat Glück gehabt, dass Shaz es lustig fand, was bedeutete, alle anderen durften es auch lustig finden, und sie hat noch mehr Glück gehabt, dass gerade keine Jungs dabei waren. Shaz hat sich wohl ein Stück Seife genommen und allen erzählt, sie geht sich jetzt mal »untenherum« reinigen, und dann hat sie so getan, als würde sie sich waschen. Dann hysterisches Gelächter, bis Miss Moray dazwischen ist, stinksauer, sie sollen sich alle verziehen, sie will Mittag essen gehen. Wenn irgendwelche Mädchen aus Nellys Klasse an ihr vorbeigehen, tun sie jetzt immer so, als würden sie sich die Scheide waschen, oder fragen sie, ob sie nach Möse riechen. Nelly kapiert es nicht. Sagt ihnen, sie sollten sich keine Sorgen machen – sie wären »hygienisch einwandfrei«.
    Und natürlich noch andere Sachen, wie ihr fanatisches Gequassel, meist wild drauflos. Ich weiß noch, als Steve Irwin gestorben ist, dieser Krokodiltyp, da hat sie ungefähr einen Monat lang ununterbrochen davon geredet. Über Steve Irwins Witwe, seine Tochter und natürlich über Stachelrochen. Wo Stachelrochen leben. Wie sie aussehen. Wie giftig so ein Stachelrochen ist, wenn er einen sticht. Wenn sie so wird, will man ihr echt eine ballern.
    Dann lieber der Harry-Fimmel, da hat man mehr Ruhe. Wenn Nelly liest, existiert sonst nichts, nicht mal ich; ich liebe es, wenn sie liest, ich bin gern nicht existent, wenn auch nur für eine Stunde. Ich glaub, diese Harry-Potter-Sache erinnert sie an Oma Lou. Sie hat Nelly ein paar von den Büchern vorgelesen, als sie sich damals um uns gekümmert hat, aber die Zeiten sind ein für alle Mal vorbei. Wir sind jetzt allein. Izzy und Gene sind tot, und keiner weiß, was wir mit ihnen gemacht
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