Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Südosteuropa abwanderten, wo Löhne und Lohnnebenkosten geringer seien. Selbst die Gewerkschaften sind auf diesen Zug aufgesprungen – vermutlich, um der vermeintlich arbeitnehmerfreundlichen rot-grünen Regierung nicht weh zu tun. Und was ist passiert?« Ketschmar wagte zum ersten Mal während des Prozesses einen Blick in die Zuschauerreihen. Die knapp zwei Dutzend Besucher schienen ihm interessiert zu lauschen. Endlich hatte er ein Forum gefunden, seine angestaute Aggression loszuwerden. Was würde wohl der Psychiater jetzt denken, wäre er noch da?
    »Das Gegenteil dessen, was die Arbeitnehmer mit ihrem Verzicht erreichen wollten, ist passiert. Die Auslagerung von Betrieben in Billiglohnländer – nicht nur in den Osten Europas, sondern weit darüber hinaus – ist erst richtig in Schwung gekommen. Er nimmt atemberaubende Formen an. Und nur die Spitze des Eisbergs davon wird in der Öffentlichkeit bekannt. Was da geschieht, ist der Ausverkauf Deutschlands – und die Leidtragenden sind wir alle, vor allem aber die Menschen ab fünfundvierzig oder fünfzig. Es klingt doch wie Hohn, wenn sie sich sagen lassen müssen, sie seien zu alt für einen Job – während andererseits die Regierung die Rentengrenze anhebt. Das hat doch nur einen einzigen Zweck: Möglichst viele Ältere in die Arbeitslosigkeit zu treiben, um auf diese Weise ihr mühsam erspartes Vermögen abschmelzen zu können – sozusagen zurück ins Staatsvermögen.«
    Ketschmar glaubte, im Augenwinkel zustimmendes Kopfnicken einiger Zuhörer bemerkt zu haben. »Und die Unternehmer reizen noch immer die Grenzen aus, bis zu denen sie mit ihren Forderungen nach Lohnverzicht und Mehrarbeit gehen können. Nein, hier geht es nicht wirklich um die Stärkung des Standorts Deutschlands – nein, unter dem Deckmäntelchen einer angeblichen Arbeitsplatzsicherung, die ich nirgendwo erkennen kann, wird versucht, den Gewinn zu maximieren.« Ketschmar nahm das nächste Blatt. »Dies alles ist mir in den vergangenen Monaten bewusst geworden. Denn zum Jahreswechsel wäre mir keinerlei Unterstützung mehr zugestanden. Wenn Sie, Hohes Gericht«, er ließ seinen Blick über die Gesichter auf der Richterbank wandern, »wenn Sie nun zu der Auffassung gelangen, ich hätte deswegen Herrn Grauer umgebracht, dann wäre dies vordergründig vielleicht sogar logisch.« Er stockte. »Viel logischer aber ist doch, dass mir morgens bei meinem Besuch in seinem Büro die Nerven durchgegangen sind und ich ihn angespuckt habe. Aber glauben Sie mir, Hohes Gericht, ich könnte niemals einen Menschen umbringen. Niemals.« Plötzlich war das Kämpferische aus seiner Stimme verschwunden. »Sie müssen mir glauben. Ich hab mit der Sache nichts zu tun. Wieso sollte ich den Mann töten? Was hätte es an meiner Situation geändert?« Ketschmar atmete schwer. Er hatte noch viel mehr aufgeschrieben, aber er hatte nicht mehr die Kraft, es vorzutragen. »Ich möchte Sie jetzt einfach bitten, mich nicht lebenslänglich einzusperren. Ich war es nicht.« Und ehe Muckenhans etwas sagen konnte, presste Ketschmar aus trockener Kehle hervor: »Das Urteil, das Sie fällen, müssen Sie mit Ihrem Gewissen vereinbaren können. Ich war es nicht.« Für einen Augenblick herrschte atemlose Stille, bis Muckenhans wieder sachlich feststellte: »Dann wird die Sitzung morgen um 9 Uhr mit der Urteilsverkündung fortgesetzt.«
     
    Bereits um 19.30 Uhr waren zwei Mannschaftstransportwagen der Bereitschaftspolizei am Rande des Rehgebirgstals eingetroffen. Außerdem standen zwei Radlader und ein kleiner Pritschenwagen bereit, die Häberle beim kommunalen Bauhof besorgt hatte. Der Chefermittler begrüßte die beiden Gruppenführer und bat sie in den Kleinbus der Kriminalpolizei, wo er ihnen an dem Klapptischchen Sitzplätze anbot. Er breitete vor ihnen eine Wanderkarte aus, die das Tal mit all seinen Gehöften und Wegen zeigte. Eine Hofstelle war mit rotem Filzstift umrandet worden. »Das ist unser Ziel«, deutete Häberle darauf. »Es gibt nur eine Zufahrt, hier …« Die Männer ließen sich mit dem Kugelschreiber die entsprechende Stelle zeigen. »Wir sollten aber vorsichtshalber den Bereich hinter dem Gebäudekomplex absperren, natürlich unauffällig. Sie können sich großräumig in den Heckenstreifen und droben am Waldrand postieren. Es muss halt sichergestellt sein, dass uns niemand entkommen kann.«
    »Sie rechnen aber nicht mit vielen Personen?«, fragte einer der beiden Männer nach, die wie die anderen, die aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher