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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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griff nach der Hand und lockerte vorsichtig den Griff. Die junge Frau rieb sich den Arm.
    »Mir ist schlecht«, sagte der Junge.
    »Das wundert einen nicht«, entgegnete Birkir. »Im Übrigen werden sie es wieder tun, wenn du uns nicht sagst, wer sie sind.«
    Er hob die Kamera, schaute auf das Display und machte ein paar Aufnahmen von den Verletzungen des Jungen.
    Die Krankenschwester beobachtete, wie Birkir vorging. »Was für eine Nationalität hast du?«, fragte sie.
    »Ich bin Isländer«, antwortete er.
    »Ja, aber ich meinte doch, woher stammst du?«
    Er blickte sie ungeduldig an und schien zunächst unwirsch reagieren zu wollen, aber als er ihre aufrichtige Miene sah, besann er sich anders. »Entschuldige«, sagte er, »meine Eltern waren Vietnamesen.«
    Die Krankenschwester lächelte. »Warst du schon mal in Vietnam?«, fragte sie.
    »Ich bin da geboren, aber nicht mehr dort gewesen, seit ich ein kleiner Junge war.«
    »Möchtest du das Land nicht sehen?«, fragte sie.
    Birkir schüttelte nur den Kopf.
    Eine andere, wesentlich ältere Frau betrat das Zimmer. Das Namensschild an der Brust wies sie als Ärztin aus. Sie grüßte die Anwesenden knapp und warf einen raschen Blick auf den Patienten, der wieder flüsterte: »Contalgin.«
    »Damit hat es Zeit, jetzt müssen wir uns erst mal mit diesen schlimmen Verletzungen befassen«, erklärte sie und hängte eine Röntgenaufnahme der gebrochenen Hand vor die Leuchtscheibe an der Wand, um sich die Knochen genau anzusehen.
    Birkir beugte sich zu dem Jungen hinunter und sagte: »Es endet damit, dass die dich umbringen. Nicht vorsätzlich, o nein, denn dann müssen sie ja deine Schulden abschreiben, aber versehentlich. Einer von diesen Schlägen oder Tritten trifft dich zu derb an einer empfindlichen Körperstelle. Mehr braucht es gar nicht.«
    Der Junge dachte eine Weile nach, blieb aber bei seiner Antwort: »Ich bin gefallen.«
    Ein weiterer Kriminalpolizist kam ins Zimmer. Er war knapp zwei Meter groß, ziemlich massig und hatte eine rötliche Gesichtsfarbe. Seine Augen waren groß und blau, die Nase klein und knubbelig. Das rötlich blonde Haar war an den Schläfen kurz geschnitten, und die spiegelnde Glatze darüber glänzte rosa. Der fleischige Hals wurde zum größten Teil von einem dicken Doppelkinn verdeckt.
    »Gibt’s was Neues?«, fragte er und biss in ein halb aufgegessenes Sandwich, das er in der Hand hielt.
    Birkir blickte seinen Kollegen an und gab ihm mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass es nichts zu berichten gab.
    »Würdest du gefälligst draußen auf dem Gang essen«, mischte sich die Ärztin ein.
    Der Neuankömmling wickelte das Sandwich in die Plastikfolie und ließ es in seiner Jackentasche verschwinden. Die Krankenschwester sah mit abfälliger Miene zu, wie er sich die Finger an der Hose abwischte. Auf dem Namensschild las sie Gunnar Maríuson . Komisch, dass er sich nach seiner Mutter nennt, dachte sie. »Habt ihr Zeugen gefunden?«, fragte er Birkir.
    »Nein, aber wir haben ein Auto angehalten, das da in der Nähe herumkurvte. Drei Jungs saßen drin, und einer trugSchuhe mit Stahlkappen. Sie haben behauptet, sie kämen von einer Party.«
    Gunnar leckte sich einen Finger ab, bevor er fortfuhr: »Diese Bürschlein rüsten sich ordentlich aus, bevor sie unter die Leute gehen. Wir haben sie verhört, und die Schuhe sind zur Analyse beim Erkennungsdienst, denn da schien Blut dran zu sein. Vielleicht wird uns ja eine DNA-Analyse bewilligt. Dann können wir feststellen, ob es eine Übereinstimmung mit dem Jungen hier gibt.« Gunnar deutete mit dem Kopf in Richtung des Patienten, der leise stöhnte.
    Die Krankenschwester hatte dem Jungen das Blut im Gesicht mit Papiertüchern abgetupft, die sie anschließend in einen Abfallkorb geworfen hatte. Birkir bückte sich und fischte eines davon heraus, um es in eine kleine Plastiktüte zu stecken.
    »Das genügt uns für einen Vergleich«, sagte er.
    Es klingelte, und Gunnar holte sein Handy aus der Jackentasche.
    »Gunnar«, sagte er vernehmlich.
    »Hier ist die Benutzung von Mobiltelefonen nicht gestattet«, erklärte die Ärztin gereizt, aber der Kriminalbeamte schien sie nicht zu hören. Er lächelte nur breit, wobei eine große Lücke zwischen den Vorderzähnen zum Vorschein kam.
    »Ja, lass hören«, sagte er zu seinem Gesprächspartner.
    Sein Gesicht verlor plötzlich den vergnügten Ausdruck, und er hielt sich das andere Ohr zu, um besser hören zu können.
    Als das Telefongespräch beendet
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