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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt
Autoren: Joy Fielding
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Leigh, wach auf! Julia ist wieder zu Hause.«
    Kurz darauf stürzten Cindys Mutter und Schwester herein, weinten vor Glück, umarmten Julia und bedeckten ihr Gesicht mit Küssen.
    Wenig später saßen die Frauen um den Küchentisch versammelt und versuchten, sich von dem Schock der frühmorgendlichen Enthüllungen zu erholen, während sich in ihren Mienen Wut, Erleichterung und Schmerz widerspiegelten.
    »Es tut mir wirklich Leid«, erklärte Julia ihnen, die auf der anderen Seite des Zimmers neben ihrem Vater stand. »Ich habe wirklich nicht gedacht, dass sich alle so schrecklich aufregen.«
    »Du hast nicht gedacht, dass wir uns aufregen würden?« Ihre Großmutter schüttelte fassungslos den Kopf.
    »Du hast überhaupt nicht nachgedacht«, sagte Leigh bitter.
    »Wie konntest du Mom das antun?«, fragte Heather.
    »Ich hab doch gesagt, es tut mir Leid«, erwiderte Julia gereizt.
    »Okay«, flötete der Keks in die nachfolgende Stille. »Ich denke, was gesagt werden musste, ist gesagt. Es hilft niemandem weiter, das Ganze noch endlos durchzukauen.«
    »Ich rufe gleich morgen früh die Zeitungen an«, sagte Tom, »und teile ihnen mit, dass Julia wieder zu Hause ist.« Er drückte die Hand seiner Tochter. »Und dass sie zu Fotoaufnahmen bereitsteht.«
    Julia lächelte und strich sich mit der freien Hand unwillkürlich die Haare glatt.
    Cindy starrte ihre ältere Tochter an. Trotz ihrer zwanzig Jahre war sie im Grunde noch immer ein Kind. Vielleicht gab es noch Hoffnung. Vielleicht würde sie mit der Zeit die nötige Reife entwickeln. Vielleicht auch nicht. Vielleicht würde Julia immer ein kleines Ungeheuer bleiben. Vielleicht war ihre entschlossene Selbstbezogenheit genau die Eigenschaft, die sie
zum Star machen würde, vielleicht würde ihr ihre offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer Menschen die Bewunderung von Millionen einbringen.
    Ganz die Tochter ihres Vaters.
    Aber auch ihre Tochter.
    Cindy ging zum Telefon und wählte die Nummer der Polizeiwache des 53. Bezirks. »Ich hätte gern den Dienst habenden Beamten gesprochen, bitte.«
    »Was glaubst du, was du da machst?«, wollte Tom wissen.
    »Wenn du der Polizei die Wahrheit sagst, werde ich alles abstreiten«, sagte Julia hastig. »Ich werde aussagen, dass du von Anfang an in die ganze Geschichte eingeweiht warst.«
    »Das ist doch lächerlich«, fauchte der Keks. »Das machst du doch nur, um dich an Tom und mir zu rächen.«
    »Um dich an Tom und mir zu rächen«, sagte Heather vom Küchentisch.
    »Was?«
    »Reflexivpronomen der zweiten Person Singular«, erklärte Heather.
    »Das glaube ich nicht! Tom, tu irgendwas.«
    »Mom, bitte«, flehte Julia. »Ich will einfach bloß nach Hause kommen.«
    Die Worte versetzten Cindy kleine Stiche ins Herz.
    »Officer Medavoy«, meldete sich eine vertraute Stimme an Cindys Ohr.
    »Officer Medavoy, hier ist Cindy Carver. Wir haben uns neulich abends kennen gelernt. Meine Tochter Heather …«
    »Ja, natürlich. Wie geht es ihr?«
    »Ihr geht es großartig. Großartig«, wiederholte sie und betrachtete voller Staunen, was für ein Wunder ihre jüngere Tochter war. All die Jahre hatte sie Heathers stilles Licht übersehen, weil sie von Julias loderndem Feuer geblendet gewesen war. All die Jahre hatte Cindy ihre eine Tochter kurz abgefertigt, weil sie so beschäftigt damit gewesen war, den Verlust ihrer anderen
zu betrauern. Und jetzt war Julia zurück, und sie sagte genau das, was Cindy ihr Leben lang hatte hören wollen.
    Bitte, Mom. Ich will einfach bloß nach Hause kommen .
    Und es war zu spät.
    »Es geht um meine andere Tochter. Ich rufe an wegen Julia.«
    Der ganze Raum hielt den Atem an.
    »Sie ist wieder zu Hause«, erklärte Cindy dem Beamten. Sie schloss die Augen, schüttelte den Kopf und schluchzte unwillkürlich auf, als sie weitersprechen wollte. Konnte sie der Polizei wirklich die Wahrheit sagen, obwohl sie wusste, dass ihre Tochter im Gefängnis landen und damit alle Träume vom Starruhm begraben konnte? War in den vergangenen zwei Wochen nicht für ein ganzes Leben genug Leid geschehen? Waren nicht genug Träume zerbrochen? »Sie ist vor einer Stunde hier hereinspaziert«, verkündete Cindy, »ahnungslos über die ganze Aufregung.«
    »Gott sei Dank«, hörte sie den Keks flüstern, während Julia an der Brust ihres Vaters in eine Flut dankbarer Tränen ausbrach.
    Cindy trug weiter das unsichtbare Drehbuch vor, das ihr Ex-Mann und ihre Tochter geschrieben hatten, überrascht, wie
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