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Beute

Beute

Titel: Beute
Autoren: Michael Crichton
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hatte eine echte Gabe, die humorvolle Seite des Lebens zu sehen. Sie war bekannt für ihre Ausgeglichenheit; sie verlor so gut wie nie die Beherrschung.
    Jetzt war sie selbstverständlich wütend. Wollte mich nicht einmal anschauen. Sie saß im Dunkeln an dem runden Küchentisch, ein Bein über das andere geschlagen und ungeduldig damit wippend, während sie ins Nichts starrte. Als ich sie ansah, hatte ich das Gefühl, ihr Äußeres hätte sich irgendwie verändert. Natürlich hatte sie in letzter Zeit abgenommen, durch den Stress im Job. Eine gewisse Weichheit in ihrem Gesicht war verschwunden; die Wangenknochen traten stärker hervor, das Kinn wirkte spitzer. Sie sah dadurch härter aus, aber irgendwie noch schöner.
    Auch ihre Kleidung war anders. Julia trug einen dunklen Rock und eine weiße Bluse, sozusagen das Standardoutfit für Managerinnen. Aber der Rock war enger als gewöhnlich. Und durch ihren wippenden Fuß wurde ich auf die Slingpumps aufmerksam. Früher hatte sie die mal als Aufreißschuhe bezeichnet. Schuhe, die sie nie zur Arbeit anziehen würde.
    Und dann begriff ich, dass alles an ihr anders war - ihr Verhalten, ihr Aussehen, ihre Stimmung, alles -, und blitzartig wurde mir klar, warum – Meine Frau hatte eine Affäre.
    Das Wasser im Topf fing an zu dampfen, und ich zog das Fläschchen heraus, testete die Temperatur an meinem Unterarm. Es war zu heiß geworden, und ich musste es einen Moment abkühlen lassen. Das Baby begann zu schreien, und ich schaukelte es sachte an meiner Schulter, während ich mit ihm durch den Raum ging.
    Julia blickte mich kein einziges Mal an. Sie wippte bloß weiter mit dem Fuß und starrte ins Leere.
    Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass das ein Syndrom war. Der Mann ist arbeitslos, seine maskuline Attraktivität schwindet, seine Frau hat keinen Respekt mehr vor ihm, sie nimmt sich einen Liebhaber. Ich hatte das in Glamour oder Redbook oder einer der anderen Zeitschriften gelesen, die wir zu Hause haben, während ich darauf wartete, dass die Wäsche fertig wurde oder die Mikrowelle den Hamburger aufgetaut hatte.
    Aber jetzt durchfluteten mich widerstreitende Gefühle. War es wirklich wahr? Oder war ich bloß müde und fantasierte mir schlechte Geschichten zusammen? Was spielte es für eine Rolle, dass sie engere Röcke und andere Schuhe trug? Die Mode änderte sich. Menschen hatten an unterschiedlichen Tagen unterschiedliche Stimmungen. Und nur weil sie manchmal verärgert war, musste sie noch lange keine Affäre haben. Natürlich nicht. Wahrscheinlich fühlte ich mich bloß unzulänglich, unattraktiv. Wahrscheinlich traten nur meine Unsicherheiten zum Vorschein. Eine Weile verliefen meine Gedanken in dieser Bahn.
    Aber aus irgendeinem Grund kam ich nicht mehr davon los.
    Ich war mir sicher, dass ich mich nicht irrte. Seit über zwölf Jahren lebte ich mit dieser Frau zusammen. Ich wusste, dass sie anders war, und ich wusste, warum. Ich konnte förmlich spüren, dass da jemand war, ein Außenstehender, einer, der in unsere Beziehung eingedrungen war. Ich fühlte es mit einer Gewissheit, die mich überrumpelte. Ich fühlte es tief in mir, wie einen Schmerz.
    Ich musste mich abwenden.
    Das Baby nahm das Fläschchen und gluckste glücklich. In der halbdunklen Küche starrte Amanda mit dem eigentümlich unverwandten Blick, wie Babys ihn haben, zu mir hoch. Ihr Anblick war irgendwie tröstlich. Nach einer Weile schloss sie die Augen, und dann wurde ihr Mund schlaff. Ich legte sie an meine Schulter und ließ sie ein Bäuerchen machen, während ich sie in ihr Zimmer trug. Die meisten Eltern klopfen ihren Babys zu fest auf den Rücken, damit sie ein Bäuerchen machen. Es ist besser, ihnen einfach mit der flachen Hand den Rücken zu reiben und manchmal nur mit zwei Fingern die Wirbelsäule entlangzustreichen. Sie rülpste leise und entspannte sich.
    Ich legte sie in ihr Bettchen und drehte das Nachtlicht aus. Jetzt kam das einzige Licht im Raum von dem Aquarium, das grünblau in der Ecke blubberte. Ein Plastiktaucher dümpelte über den Grund und zog Blasen hinter sich her.
    Als ich mich umwandte, sah ich Julias Silhouette in der offenen Tür, dunkles Haar von hinten erhellt. Sie hatte mich beobachtet. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. Leise kam sie näher. Ich verkrampfte mich. Sie schlang ihre Arme um mich und legte den Kopf an meine Brust.
    »Bitte verzeih mir«, sagte sie. »Ich benehme mich wirklich unmöglich. Du machst das wunderbar. Und ich bin bloß
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