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Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Titel: Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
Autoren: Sarah Kassem
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gearbeitet. Du hast ihn gestern anprobiert.“
    Viktor seufzte. Er wusste, dass er verloren hatte.
    „Hast du ihn gestern anprobiert oder nicht?“, fragte sie. Viktor nickte und regte sich innerlich über die Frage auf. Sie war doch dabei gewesen, hatte Anweisungen gegeben, mit ein paar Nadeln den dicken Stoff abgesteckt und letzte Änderungen befohlen. Mit sieben Jahren fing er langsam an, das Konzept von rhetorischen Fragen zu verstehen, und fand diese vollkommen unnötig und nervenaufreibend.
    > „Du wolltest unbedingt Darth Maul sein, und zu Darth Maul gehört offenbar ein rotes Schwert. Wer ist bis nach Salix Alba gefahren und erst abends zurückgekommen, weil es so lange gedauert hat, so ein Schwert in den Geschäften zu finden?“, hauchte sie bedächtig und präzise.
    Viktor fand einen Fussel auf seinem Teppich und spielte mit dem Zeh daran. Sie wusste, wer das war, sie hatte ihn doch geschickt, also war die Frage schon wieder unnötig, das regte ihn noch mehr auf.
    „Wer ist mit dem Bus gefahren?“, bohrte sie nach und beugte sich leicht zu ihm herunter.
    „Oded!“, raunte Viktor und zerdrückte den Fussel mit seinem Zeh.
    „Und wo haben wir deine Hörner und die Gesichtsschminke bestellt, und wie lange hat es gedauert, bis alles geliefert wurde?“
    Viktor wollte schreien und am liebsten um sich schlagen. Er wusste aber, dass es nichts bringen würde. Es war physisch unmöglich, in Helenas Gegenwart seine Wut zum Ausdruck zu bringen. Sie schien Wut und Ärger einfach in sich aufzusaugen, wie ein Vakuum oder ein schwarzes Loch. Als ob sie wütende Leute einfach mit einem Korken zustopfen würde und man damit vor der Wahl stand, entweder innerlich an der Wut zugrunde zu gehen oder diese einfach zu vergessen und wieder friedlich zu werden.
    Helena ging vor Viktor auf die Knie, schaute ihm in die Augen und fragte erneut, dieses Mal im Flüsterton: „Woher und wie lange?“
    „Du hast die Hörner aus Salix Alba bestellt!“, rief Viktor. „Oded musste dort hinfahren, weil sie nicht per Post liefern! Und du hast die rote Schminke aus New York bestellt, das ist in Amerika, weit weg, weil die Schminke gut für die Haut ist und keine Pickel macht, und es hat drei Monate gedauert, bis alles endlich hier ankam. Und du musstest zum Zollamt und viel Geld dafür bezahlen!“
    Viktor atmete tief ein, stieß einen resignierten Seufzer aus und ließ die Schultern sinken. Er schaute sich einen anderen Fussel auf dem Boden an und blickte immer wieder hoch, um zu kontrollieren, ob sie ihn immer noch ansah. Das tat sie.
    „Sagst du Maricel, dass wir den Umhang wegschmeißen und dass wir jetzt ein neues Kostüm nähen?“
    „Nein.“
    „Sagst du Oded morgen früh, dass er umsonst stundenlang unterwegs war, um das Schwert und die Hörner zu besorgen?“
    „Nein.“
    Sie hob Viktor auf und brachte ihn ins Bett. „Dein Geburtstag ist nächsten Monat, wir haben keine Zeit mehr für ein neues Kostüm. Außerdem musst du lernen, wie Entscheidungsprozesse ablaufen. Sobald du dich für etwas im Leben entschieden hast und alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um es zu realisieren, musst du bei dieser Entscheidung bleiben. Du wolltest Darth Maul und du hast Darth Maul bekommen, also wirst du dabei bleiben und diese Entscheidung beibehalten. Man kann nicht seine Meinung und seine Wünsche von einem Tag auf dem anderen ändern. Außerdem ist es respektlos den Leuten gegenüber, die hart dafür gearbeitet haben, dass dein Wunsch erfüllt wird. Du wirst Darth Maul tragen, aber du bist nicht Darth Maul, du bist kein Diktator, der Leute herumkommandiert. Diese „Star Wars“-Sache gefällt mir nicht, ich werde morgen mit deinem Vater darüber reden. Wenn du groß bist und dein eigenes Geld hast und deine eigenen Leute, dann kannst du tun und lassen, was du willst. Aber bis dahin bist du sieben Jahre alt, und meine Mitarbeiter sind nicht deine Sklaven und die Menschen um dich herum haben nicht die Lebensaufgabe, dir zu Diensten zu sein. Du hast morgen Schule, und du bist immer noch wach. Du wirst jetzt schlafen.“
    Sie strich ihm über die Stirn und deckte ihn zu. Jetzt redete sie in einer normalen Lautstärke, was bedeutete, dass sie nicht mehr böse war. Und Helenas Stimme in der normalen Lautstärke hatte eine sehr benebelnde Wirkung. Sie war tief, mit einem wogenden Singsang, der an Meereswellen in einer dunklen, unterirdischen Höhle erinnerte und einen beim Zuhören oft schläfrig werden ließ.
    Viktor sah sie an. Sie
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