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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof
Autoren: Gmeiner-Verlag
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hatte.
    »Und?«, fragte er. »Ist der Mann tot?«
    Ich nickte.
    »Haben Sie ihn untersucht?«
    »Verdammt, ich habe Sie was gefragt«, entfuhr es mir. »Wo kommen Sie jetzt plötzlich her?«
    Sorgfältig zusammengefaltet, wanderte das Taschentuch zurück an seinen ursprünglichen Platz. Ein Lächeln huschte über die Lippen des Mannes.
    »Habe ich Sie erschreckt?«, entgegnete er. »Dann entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Koller.«
    Ich starrte ihn schweigend an. Wenn der Mann meinen Namen kannte, musste er es sein, der mich vor wenigen Stunden angerufen hatte. Ich hatte niemandem von der Verabredung auf dem Bergfriedhof erzählt, nicht einmal meinem besten Freund Fatty. Also stand ich meinem Auftraggeber gegenüber.
    »Verstehe«, sagte ich. »Ihretwegen bin ich hier. Und das ist Teil Ihres Auftrags?« Ich zeigte auf die Leiche.
    »Damit«, sagte er, »habe ich nichts zu tun. Aber auch nicht das Geringste.«
    »Was?«, lachte ich. »Sie machen wohl Witze!«
    Das war natürlich Unsinn. Ich hatte den Mann noch nie gesehen, aber dass er keine Witze zu machen pflegte, war offensichtlich. Einen Witz hielt er vermutlich für etwas Unanständiges. Oh, ich kenne diese Typen, in Heidelberg gibt es viel zu viele davon. Sie sind satt und intelligent, sie bekleiden wichtige Posten in der Industrie oder an der Universität, sie duzen eine Handvoll Bundestagsabgeordnete, tragen Seidenschals und italienische Lederschuhe, sie fördern harmlose Kunstprojekte und langweilen sich in ihren schicken Wohngettos zu Tode. Ab und zu stirbt einer von ihnen an Krebs, dann haben die Ärzte gepfuscht. Und wenn sie zusammensitzen, bestätigen sie sich gegenseitig ihre ungebrochene Potenz und lästern über die Einöde, in die es sie verschlagen hat. So einer war der Alte in meinen Augen.
    Und weil es so schön passte, begann der Unbekannte mich mit einer Geringschätzigkeit zu mustern, die ihresgleichen suchte. Er legte den Kopf ein ganz klein wenig zur Seite und ließ seine Blicke über mich gleiten. Von oben bis unten, von rechts nach links, über meine komplette Durchschnittlichkeit hinweg. Wie ein Lehrer seinen schwächsten Prüfling examiniert. Abtreten, Koller. Versetzung gefährdet.
    »Was soll das?«, herrschte ich ihn an. »Wer ist dieser Mann und warum sollte ich auf den Bergfriedhof kommen? Ihren Namen könnten Sie mir auch verraten.«
    »Wie lange sind Sie schon hier?«
    »Was weiß ich! 10 Minuten, eine Viertelstunde. Ich war pünktlich.«
    »Und Sie haben den Mann so vorgefunden?«
    »Ja.«
    »Was ist ihm zugestoßen? Sie sind der Fachmann, Herr Koller. Ein Herzinfarkt?«
    Mir platzte der Kragen. »Hören Sie mal, großer Häuptling«, rief ich, und es fehlte nicht viel und ich hätte ihn geschüttelt. Er wich zurück. »Sie halten mich wohl für bescheuert! Klären Sie mich gefälligst auf, was hier gespielt wird. Was ist mit dem Mann passiert? Warum liegt er auf dem Grab? Was tue ich hier? Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten den Kerl nie gesehen.«
    »Bitte, Herr Koller.«
    »Nichts da! Beantworten Sie meine Fragen.«
    Er räusperte sich. »Ich kenne den Mann nicht. Glauben Sie mir.«
    »Ach, nein? Und warum bin ich dann hier?«
    »Tja, warum sind Sie hier?« Er sah mich ernst, fast sorgenvoll an. Plötzlich aber erblühte ein winziges Lächeln in seinen Mundwinkeln, ein kaum wahrnehmbares Zeichen dafür, dass er sich über irgendetwas prächtig amüsierte, und er sagte: »Vielleicht als Zeuge?«
    »Wie?«
    »Ja, als Zeuge für meine Unschuld. Für die Tatsache, dass ich mit dem Tod dieses Mannes nichts zu tun habe. Rein theoretisch natürlich, denn Sie werden keine Aussage machen müssen.«
    »Als Zeuge, so ein Quatsch. Wer weiß schon, was Sie in der letzten halben Stunde getrieben haben.«
    »Jedenfalls keinem meiner Mitmenschen Gewalt angetan«, sagte er bestimmt. »Sehe ich vielleicht so aus? Und hätte ich Sie dann herzitiert? Ich weiß nicht, wie dieser Mann zu Tode gekommen ist, und ich habe nichts damit zu tun.«
    »Aber Sie kennen ihn. Sie wissen, wer der Mann ist.«
    »Nein.«
    »Verarschen kann ich mich alleine!«, brüllte ich in die Nacht hinaus.
    Er schwieg. Hielt meinem wütenden Blick ein paar Sekunden stand, um dann erneut sein Taschentuch zu zücken und sich zu schnäuzen. Sogar diese Handlungen wirkten herablassend.
    »Umgekehrt wird eher ein Schuh daraus«, erklärte er. »Womit haben Sie eigentlich die letzten 30 Minuten verbracht, Herr Koller?«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich«, schnaubte
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