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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sehen?«, fragte Fatty.
    »Nö. Bloß tasten. Und riechen.«
    »Riechen?«
    »Vor allem war ich nicht in der Lage, das Kennzeichen des BMW zu lesen. Und genau darum ging es dem Alten.«
    »Verstehe.« Fatty nickte beeindruckt. »So sind sie, die Bonzen. Ledersitze, sagst du?«
    »Ledersitze.«
    »So sind sie, die Bonzen«, wiederholte er. »Verdammte Spießer, die sich die Finger nicht schmutzig machen wollen. 100 Prozent Arroganz im Blutkreislauf. Pfui Spinne.« Er lehnte sich zurück und seufzte tief. Über ihm rieselte etwas Sand von der Backsteinmauer.
    Ich nahm einen Schluck Bier und schwieg. Friedhelm Sawatzki, genannt Fatty, zog eine sorgenvolle Miene, aber er war nicht besorgt, im Gegenteil. Er war hochzufrieden. All seine Vorurteile – bezüglich der Bonzen, ihrer Autos, ihres Auftretens – hatten sich wieder einmal bestätigt, und das machte ihn froh. Ein Beweis für die Korrektheit seines Weltbildes, das von der ewigen Feindschaft zwischen Ausbeutern und Arbeitern, Spießern und Entrechteten, Kapitalisten und Antikapitalisten lebt. Er selbst ist Erzieher in einem Heidelberger Kindergarten, und so erübrigt sich die Frage, auf welcher Seite der Gesellschaft er steht. Ja, Fatty hat vor vielen Jahren, während seiner pubertären Sturm-und-Drang-Zeit, einen revolutionären Schub bekommen, hat den Klappentext des Kapital studiert und nicht verstanden. Seitdem ist die Sache für ihn klar, und immer, wenn er von Begebenheiten wie der Geschichte mit dem Unbekannten erfährt, wirft er seine Floskeln unters Volk: »Siehst du, da haben wir es wieder ... So sind sie, die Bonzen dieser Welt. Habe ich es dir nicht gleich gesagt, Max?« Natürlich hat er. Oft genug.
    In den meisten Fällen decken sich Fattys Ansichten mit meinen. Im Gegensatz zu ihm verzuckere ich allerdings nicht jedes Ärgernis mit pseudomarxistischen Thesen, um es zu verarbeiten. Und schon gar nicht bin ich der Meinung, dass man an den Verhältnissen etwas ändern könnte, wie Fatty steif und fest behauptet. Er selbst ändert am allerwenigsten. Ich sage den Leuten zumindest bei Gelegenheit, was mir an ihnen nicht passt, Fatty hingegen entrollt die vergilbte Fahne der proletarischen Revolution, ruft von meinem Hinterhofbalkon zum aktiven Widerstand auf und steht am nächsten Morgen um halb acht wieder brav vor seinen Vierjährigen, der dickste und freundlichste Erzieher, den es in ganz Heidelberg gibt.
    »Und du hast keine Ahnung, wer der Alte sein könnte?«, fragte er. »Keinen blassen Schimmer?«
    »Nein.«
    »Aber wiedererkennen würdest du ihn?«
    »Das schon.«
    »Dann musst du ihn suchen! Heidelberg ist doch ein Kaff. Oder hast du Schiss?«
    »Schiss?« Ich winkte ab. »Sagen wir mal so: Ein Mann von 70 Jahren oder mehr, der es ohne sein Pfefferspray bestimmt nicht mit mir aufgenommen hätte ...« – aus dem Mund eines, der gerade mal 67 Kilo auf die Waage bekommt, klang das allerdings etwas großmäulig –, »... dieser alte Knacker, so arrogant und überheblich er aufgetreten ist, hat es trotzdem geschafft, mir auf gewisse Weise Respekt einzuflößen.«
    »Wie, Respekt?«
    »Der Typ war hellwach, die gesamte Zeit über. Immer auf der Höhe des Geschehens. Den konntest du nicht mal so eben austricksen. Der überließ nichts dem Zufall, hat sein Vorgehen genau kalkuliert. Dass er mir eine Ladung Spray verpassen würde, wusste er, bevor ich in seinen BMW einstieg.«
    »Ach, so meinst du das.«
    »Unterschätzen sollte man ihn jedenfalls nicht.«
    Fatty nickte. »Waren tatsächlich 5000 Euro in dem Umschlag?«
    »5000.«
    »Kleingeld für einen Bonzen, aber dafür, dass du keinen Finger gerührt hast, ein ordentlicher Stundenlohn.«
    »Richtig.«
    »Der Mann muss doch zu finden sein!« Fatty schüttelte den Kopf. »Wenn ich mir vorstelle, was dir hätte passieren können! Warum hast du mir nicht wenigstens gesagt, was du vorhast?«
    »Ich bringe mal das Essen.«
    Fatty seufzte. Ich stand auf und holte die gefüllten Auberginen aus dem Backofen. Kochen gehört zu den wenigen Dingen, die mir wirklich wichtig sind, und für gutes Essen verzichte ich auf einige andere Annehmlichkeiten. Daran hat sich auch durch meine Trennung von Christine nichts geändert. Zu einer befriedigenden Mahlzeit gehört meiner Meinung nach nämlich keine zweite Person, mir schmeckt es auch alleine gut.
    Trotzdem deckte ich zwei Teller.
    »Danke, für mich nichts«, wehrte Fatty ab. »Hab schon ... hab schon gegessen.« Ich hätte ihm die Worte diktieren
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