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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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erreichen geht nicht. Nur nach langer Vorbereitung, nach der Auseinandersetzung mit dem Berg, wächst jene Energie in uns, die bis zum Gipfel trägt.
    Jede Bergtour beginnt vor dem Aufbruch, und der letzte Schritt zum Gipfel hängt ab vom ersten Schritt dem Ziel entgegen. Für die letzten und meist anstrengendsten Schritte zum Gipfel braucht es ein starkes Momentum. Die Anerkennung, die anschließend winkt, die mögliche Auswertung reichen dafür nicht aus. Auch Ehrgeiz und Medaillen als Siegespreis fallen dort oben als Motivation aus. Die Motivation wächst mit der Begeisterung. Wenn ich das, was ich tue, mit Begeisterung tue, wenn es meinem Wesen entspricht, bin ich stark. Je länger ich mich mit meinem Ziel auseinandergesetzt habe (auch wenn ich vorher am Gelingen zweifelte), je mehr Energie ich eingebracht habe, um den ersten Schritt zu tun, umso mehr Motivation habe ich später.
    Meist ist es so: Ich entdecke eine Möglichkeit. Sie ist der Ansatz zu einem Gedankenspiel. Woher sie kommt, ist sekundär. (Ein Gespräch, der Blick auf ein Bild, das Studium der Abenteuergeschichte lösen sie aus.) Plötzlich habe ich die Idee. Der Grenzgang beginnt also im Kopf. Dann trage ich meine Idee lange mit mir herum. Daheim, im Halbschlaf, Auto fahrend vielleicht kann sie reifen. Langsam wächst die Notwendigkeit, die Idee zu realisieren. Es kommt zur Geburt. Die Idee, dieses Luftschloss, das sich herauskristallisiert hat, wird lebendig.
    Jetzt muss ich das Unternehmen finanzieren. Ich brauche Ausrüstung, eine Logistik, Partner. Einmal unterwegs, muss alles stimmen. Natürlich kann ich (kleine) Pannen, die im Rahmen der Vorbereitung gemacht worden sind, vor Ort ausgleichen. Ausrüstungsgegenstände können geflickt werden. Oft aber sind es die kleinen Fehler, die zum Scheitern führen. Mängel in der Kondition oder Ausrüstung können bei Grenzgängen sogar tödlich sein. (Kein Grenzgänger ist deshalb ein potenzieller Selbstmörder. Wir steigen nicht auf Berge, um uns umzubringen. Wir wollen lebendig wieder herunterkommen.)
    Ich habe in meinem Leben als Grenzgänger nicht immer »Erfolge gehabt«. Und gelernt habe ich bei den gescheiterten Expeditionen mehr als bei den erfolgreichen. Eine Einschränkung: Hätte ich bei meinen ersten drei Expeditionen Misserfolge gehabt, ich wäre aus wirtschaftlichen Gründen zum Aufgeben gezwungen gewesen. Ich wäre also als Grenzgänger pauschal gescheitert.
    Bis 1975 hatte ich wenige Kritiker. In dem Augenblick aber, als ich die bis dahin geltenden »Gesetze« des Höhenbergsteigens infrage stellte, Tabus brach, gab es plötzlich viele, die meinten, ich würde unerlaubt handeln.
    Trotzdem ging ich meinen Weg weiter. Was mich faszinierte, war das Neue: tun, was noch nicht da war; versuchen, was niemand vorgegeben hatte; weiter gehen als alle anderen vor und neben mir. Ich wusste, wie es die anderen gemacht hatten, und ich wagte zuerst einen Schritt mehr, dann einen neuen Stil. Dieser Stil revolutionierte das Bergsteigen. Nicht nur, weil meine Expeditionsform billiger war; sie war leichter, schneller, auch sicherer. Wenn nur zwei sich den Gefahren der großen Höhe, der sauerstoffarmen Luft, Lawinen und Steinschlag aussetzen, können nur zwei umkommen. Nicht ein Dutzend, nicht Hunderte.
    Risiko gehört zum Bergsteigen. Aber ich steige nie auf, um umzukommen. Deshalb die »Disziplin des Risikos« als Gegengewicht zum Ehrgeiz. Disziplin des Risikos heißt Wachsein, Vorbereitung, Training, Selbstbeherrschung, Einschränkung. Die preußische Eigenschaft Disziplin, von innen kommend, ist Voraussetzung für meinen Erfolg. Natürlich gehören auch Kreativität, Lebensfreude, »L’arte del vivere« – ich kenne als Südtiroler die südländische Lebensart – dazu. Aber ohne Disziplin sind meine Ziele nicht zu erreichen. Ohne Verzichtbereitschaft sind sie eine Todesfalle.
    Schritte, die als nicht möglich gelten, fordern meine Fantasie, meinen Ehrgeiz und meine Disziplin gleichermaßen heraus. Immer noch. Es ist mir dabei nicht wichtig, worum es geht, wie hoch der Berg, wie groß die Wüste ist, mit denen ich mich auseinandersetze. Die Intensität der Auseinandersetzung entscheidet. Die höchstmögliche Intensität setzt Besessenheit voraus. Ich weiß, dieser Ausdruck ist negativ besetzt. Aber ich stehe zur Besessenheit. Ohne Fanatismus sind extrem
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