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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter
Autoren: C Link
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Uhrzeit befand sie sich bereits auf dem Rückweg. Samson hatte sie mehrfach zu ihrem Haus verfolgt und war sich einigermaßen sicher, was ihre Lebensumstände anging: kein Mann, keine Kinder. Ob sie geschieden oder nie verheiratet gewesen war, vermochte er nicht zu sagen. Sie wohnte in einer recht kleinen Doppelhaushälfte, besaß allerdings einen großen Garten. Sie schien von daheim aus zu arbeiten, denn außer zum Einkaufen und zum Hundespaziergang verließ sie ihr Haus tagsüber nicht. Sie erhielt allerdings häufig Lieferungen von Kurierdiensten. Samson schloss daraus, dass sie für eine Firma arbeitete, deren Aufträge sie zu Hause ausführen konnte. Vielleicht hatte sie ein Schreibbüro. Vielleicht erstellte sie Gutachten oder Redaktionen für einen Verlag. Er hatte mehrfach registriert, dass sie für einige Tage verreist war. In dieser Zeit wohnte eine Freundin bei ihr und führte auch den Hund aus. Offensichtlich musste sie sich gelegentlich bei ihrem Arbeitgeber blicken lassen.
    Ein Stück weiter kehrte eine ältere Dame den Gehweg vor ihrem Haus. Diese Dame war sehr häufig draußen anzutreffen. Heute fegte sie das Laub zusammen, die allerletzten wenigen Blätter, die von dem Baum in ihrem Garten über den Zaun gesegelt waren. Sie kehrte die Straße oft selbst dann, wenn es nach menschlichem Ermessen absolut nichts zu tun gab. Samson wusste, dass sie alleinstehend war. Selbst einem weniger gründlichen Beobachter als ihm wäre ihr Bedürfnis aufgefallen, irgendetwas zu tun, das sie für eine Weile auf der Straße sein ließ, um wenigstens den einen oder anderen Morgengruß zu erhaschen. Sie erhielt nie Besuch, hatte also entweder keine Kinder oder zumindest nur solche, die sich nicht um sie kümmerten. Auch waren ihm nie Freunde aufgefallen, irgendwelche Bekannte, die sie aufgesucht hätten.
    »Guten Morgen«, sagte sie atemlos, kaum dass sie ihn erblickt hatte.
    »Guten Morgen«, murmelte Samson. Er hatte es sich zum eisernen Grundsatz gemacht, in keinerlei Kontakt mit den Menschen zu treten, die er beschattete, denn es war wichtig für ihn, nicht aufzufallen. Aber bei dieser Frau brachte er es nicht fertig, grußlos vorüberzugehen. Zudem hätte er sich damit vielleicht noch nachdrücklicher in ihr Gedächtnis gebohrt. Der unfreundliche Mann, der hier jeden Morgen vorbeiläuft … So war er in ihrer Erinnerung wenigstens positiv besetzt.
    Er hatte jetzt die Häuserreihe erreicht, die sich gegenüber einer hübschen, im Sommer dicht belaubten Grünanlage befand. Eines der Häuser gehörte der Familie Ward. Samson wusste über diese Leute mehr als über alle anderen, weil Gavin die Hilfe von Thomas Ward in Anspruch genommen hatte, als es damals nach dem Tod der Eltern Probleme wegen der Nachlasssteuer gab. Ward und seine Frau arbeiteten als Wirtschafts- und Finanzberater in London, und Ward hatte den verzweifelten Gavin seinerzeit zu äußerst kulanten Bedingungen beraten, weshalb dieser bis heute nichts auf ihn kommen ließ. Obwohl Thomas Ward ansonsten genau das Bild abgab, das beiden Brüdern nicht unbedingt sympathisch war: das ziemlich große Auto, die Anzüge aus feinem Zwirn, die dezenten, aber zweifellos teuren Krawatten …
    »Man darf Menschen eben nicht nach ihrem Äußeren beurteilen«, sagte Gavin stets, wenn die Rede auf Ward kam. »Ward ist in Ordnung, da gibt es gar nichts!«
    Samson wusste, dass Gillian Ward nicht täglich in die Londoner Firma fuhr. Es war ihm nicht gelungen, eine echte Regelmäßigkeit in ihren Arbeitszeiten zu entdecken. Wahrscheinlich gab es keine. Aber natürlich hatte sie ja auch noch die zwölfjährige Tochter, um die sie sich kümmern musste, Becky, die häufig so verschlossen und trotzig wirkte. Samson hatte den Eindruck, dass Becky ziemlich rebellisch sein konnte. Sie machte ihrer Mutter das Leben bestimmt nicht immer leicht.
    Er stutzte, als er plötzlich Gillians Wagen sah, der die Straße hinunterkam, in die Garageneinfahrt einbog und dort stehen blieb. Das war ausgesprochen merkwürdig. Er wusste, dass sie und die Mutter einer Klassenkameradin einander wochenweise abwechselnd die Kinder zur Schule fuhren, aber in dieser Woche war die andere dran, da war er völlig sicher. Vielleicht hatte sie die Kinder gar nicht zur Schule gebracht, bloß wo war sie dann gewesen? Zu dieser frühen Stunde?
    Er blieb stehen. Ob sie vorhatte, ins Büro zu fahren? Mit dem Auto bis zur Bahnhaltestelle, entweder Thorpe Bay oder Southend Central, dann weiter mit dem Zug bis
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