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Benjamins Gärten (German Edition)

Benjamins Gärten (German Edition)

Titel: Benjamins Gärten (German Edition)
Autoren: J. Walther
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Kuss. Ich werde munter. Setze mich auf und ziehe mir eine Decke um die Schultern.
    Sonnenlicht fällt gleißend ins Zimmer. Verflacht die Landschaften an der Wand zu einem modernen Gemälde. Ich schneide ein Brötchen auf, belege es. Lasse mir Zeit für das Frühstück, genieße es. Das kannte ich nicht vor Marek. Kannte nur zeitiges Aufstehen, Frühstücken als eine notwendige Verrichtung, um sich dann seinen Pflichten zuzuwenden. Ich kannte kein großstädtisches In-den-Tag-hinein-Leben. Ich muss mir immer noch Mühe geben, mich an Marek orientieren, um mir wirklich die Zeit dazu zu nehmen.
    »Noch Orangensaft?«
    »Ja.« Marek schenkt mir nach. Er erzählt mir, wie er mit einem Händler um alte Fliesen gefeilscht hat. Seine Hände ahmen die ausholenden Bewegungen des Mannes nach, und ich muss lachen.
    »… und dann hat er Basta! gesagt, und sie mir einzeln in Zeitungspapier eingepackt.«
    Er ist sonst wo hingefahren, um diese Fliesen zu besorgen. Marek erzählt jetzt etwas über die Fahrt, beschreibt alles ausführlich. Ich nicke. Als er fertig ist, schweigen wir. Ich schaue zum Fenster hinaus.
    »Erzähl doch was!«
    »Du hast doch die ganze Zeit geredet.«
    »Du kannst doch …«, Marek fuchtelt mit dem Messer herum, dann schmeißt er es auf das Tablett. Er sagt nichts mehr, schaut mich nicht an.
    Ich überlege, was ich sagen könnte, suche nach einem Thema. Aber je mehr ich nachdenke, hin und her überlege, desto belangloser erscheinen mir alle Sätze.
    »Was hast du denn so gemacht?« Marek bemüht sich, freundlich zu fragen.
    Was habe ich gemacht? Es passiert nicht viel in meinem Leben. Das Spannendste daran ist er. Durch meinen Kopf schwirren flüchtige Erinnerungen; ein interessanter Artikel, den ich gelesen habe; der Versuch, einen Kuchen nach dem Rezept meiner Mutter zu backen. Als es vorgestern endlich wärmer wurde, die Luft fast nach Sommer roch, und die Blütenknospen im Garten aufsprangen. Es war ein schöner Augenblick, aber wie soll man das erzählen?
    »Nichts Besonderes«, antworte ich Marek.
    »Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«, fährt er mich an. »Red’ doch einfach mal los.«
    Ich senke den Kopf über meine Tasse. So wütend war er noch nie, auch wenn wir diese Diskussion schon hatten. Ich rede eben nicht einfach los. Ich warte auf eine Frage. Auf etwas, das mir Interesse signalisiert. Und im Zweifelsfall lasse ich es lieber. Gebe mein Inneres nicht so leicht preis. Auch wenn ich nicht weiß, wovor ich eigentlich Angst habe.
    »Ich kann zuhören«, sagt Marek mit Nachdruck.
    »Ich weiß«, antworte ich, aber ich bin mir nicht sicher. Nur wenige Menschen können wirklich zuhören. Und Marek? Doch, manchmal bekommt er etwas mit, einen Zwischenton, eine Andeutung, von der man geglaubt hat, er habe es überhört.
    Mareks Wut scheint verraucht zu sein. Er räumt das Geschirr zusammen.
    »Musst du schon heim?«
    »Nein«, sage ich erwartungsvoll.
    »Kannst du mir dann kurz helfen?« Er steht auf, nimmt das Tablett mit. Der großstädtische Morgen auf dem Land ist wohl vorbei. Ich ziehe mich an, folge ihm langsam.
    Ich helfe ihm, Fenster nach draußen in den Garten zu tragen. Wir bocken das Größte auf, der Lack splittert reichlich vom verblichenen Holz. Marek wickelt eine Kabeltrommel ab, beginnt den Rahmen abzubrennen. Der Lack schlägt Blasen, wird an einigen Stellen braun und wirft sich auf, bevor Marek die Schicht mit dem Spachtel abträgt. Das Holz verbrennt an keiner Stelle, Marek kann so etwas. Ich setze mich auf einen Stein, er ist erwärmt von der Frühlingssonne. Strecke einen meiner nackten Füße aus, die Erde zwischen dem saftigen Grün ist noch kühl. Meine Zehe erreicht eine kahle Stelle, Sumpfdotterblumen ranken sich über die verkohlten Reste des Feuers, in dessen Schein ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Die Natur wird die Stelle bald zurückerobert haben.
    Ich sehe auf. Der Kirschbaum wirft filigrane Schatten auf die Hauswand. Ich lasse Marek, der in seine Arbeit versunken ist, allein und trete ins Haus. Ich gehe durch die hellen Räume. Müll und Dreck sind in den letzten Wochen aus den Zimmern verschwunden. In jedem steht nur ein alter Kachelofen, sonst fast nichts. Ein kleiner Tisch in der Küche, ein farbverkleckster Stuhl im Salon. Eine scheußliche Tapete hängt in langen zerfetzten Streifen an der Wand dahinter. Die schönen schwarz-weißen Kacheln im Bad sind verdreckt und an einer Stelle mit unpassenden himmelblauen ausgebessert. Die Installation
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