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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Autoren: Thomas Mann
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Seite bietet eine solche Gläubigkeit und Weltfrömmigkeit doch auch große Vorteile. Denn wer alle Dinge und Menschen für voll und wichtig nimmt, wird ihnen nicht nur dadurch schmeicheln und sich somit mancher Förderung versichern, sondern er wird auch sein ganzes Denken und Gebaren mit einem Ernst, einer Leidenschaft, einer Verantwortlichkeit erfüllen, die, indem sie ihn zugleich liebenswürdig und bedeutend macht, zu den höchsten Erfolgen und Wirkungen führen kann. – So sinnierte ich und erwog das Für und Wider. Übrigens habe ich es unwillkürlich und meiner Natur gemäß stets mit der zweiten Möglichkeit gehalten und die Welt für eine große und unendlich verlockende Erscheinung geachtet, welche die süßesten Seligkeiten zu vergeben hat und mich jeder Anstrengung und Werbung in hohem Grade wert und würdig deuchte.

    Drittes Kapitel

    W enn aber so träumerische Experimente und Spekulationen geeignet waren, mich von meinen Alters- und Schulgenossen im Städtchen, die sich auf herkömmliche Weise beschäftigten, innerlich abzusondern, so kam hinzu, daß diese Burschen, Weingutsbesitzers- und Beamtensöhne, von Seiten ihrer Eltern, wie ich bald gewahr werden mußte, vor mir gewarnt und von mir ferngehalten wurden, ja, einer von ihnen, den ich versuchsweise einlud, sagte mir mit kahlen Worten ins Gesicht, daß man ihm den Verkehr mit mir und den Besuch unseres Hauses verboten habe, weil es nicht ehrbar bei uns zugehe. Das schmerzte mich und ließ mir einen Umgang begehrenswert erscheinen, an dem mir sonst nichts gelegen gewesen wäre. Allein nicht zu leugnen war, daß es mit der Meinung des Städtchens über unser Hauswesen gewissermaßen seine Richtigkeit hatte.
       Ich ließ schon weiter oben eine Anspielung einfließen auf die Störungen, welche durch die Anwesenheit des Fräuleins aus Vevey in unser Familienleben getragen wurden. In der Tat stellte mein armer Vater diesem Mädchen in verliebtem Sinne nach und gelangte denn auch wohl zu dem gesteckten Ziel, worüber sich Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und meiner Mutter entspannen, die weiter dahin führten, daß mein Vater sich auf mehrere Wochen nach Mainz begab, um dort, wie er es manches Mal zu seiner Erfrischung tat, das Leben eines Junggesellen zu führen. Übrigens hatte meine Mutter, die eine unscheinbare Frau von wenig hervorragenden Geistesgaben war, vollkommen unrecht, meinen armen Vater so unnachsichtig zu behandeln, denn sie sowohl wie meine Schwester Olympia (ein dickes und außerordentlich fleischlich gesinntes Geschöpf, das später nicht ohne Beifall die Operettenbühne beschritt) gaben ihm an menschlicher Schwäche durchaus nichts nach; nur daß seiner Leichtlebigkeit stets eine gewisse Anmut innewohnte, deren ihre dumpfe Vergnügungssucht fast ganz entbehrte. Mutter und Tochter lebten in seltener Vertraulichkeit miteinander, und ich erinnere mich zum Beispiel, beobachtet zu haben, wie die Ältere mit einem Meterband den Oberschenkel der Jüngeren nach seinem Umfange maß, was mich auf mehrere Stunden zur Nachdenklichkeit stimmte. Ein anderes Mal, zu einer Zeit, als ich für solche Dinge wohl schon ein ahnungsvolles Verständnis, aber noch keine Worte besaß, war ich heimlich Zeuge davon, wie sie einem im Hause beschäftigten Anstreichergesellen, einem dunkeläugigen Burschen in weißem Kittel, mit gemeinsamen neckischen Annäherungen zusetzten und ihm endlich so den Kopf erhitzten, daß der junge Mensch in eine Art Wut geriet und, mit einem Schnurrbart aus grüner Ölfarbe, den sie ihm angemalt, die kreischenden Frauen bis auf den Trockenspeicher verfolgte.
       Sehr oft, da meine Eltern sich bis zur Erbitterung miteinander langweilten, hatten wir Gäste aus Mainz und Wiesbaden, und dann ging es überaus reichlich und aufgeräumt bei uns zu. Es waren buntscheckige Gesellschaften, bestehend aus einigen jungen Fabrikanten, Bühnenkünstlern beiderlei Geschlechts, einem kränklichen Infanterieleutnant, der später so weit ging, um die Hand meiner Schwester anzuhalten, einem jüdischen Bankier nebst seiner Gattin, die auf eindrucksvolle Weise überall aus ihrem mit Jett übersäten Kleide quoll, einem Journalisten mit Stirnlocke und Samtweste, der jedesmal eine neue Lebensgefährtin einführte, und anderen mehr. Man fand sich meistens zum Diner um sieben Uhr ein, und dann pflegte die Lustbarkeit, die Klaviermusik, das Schlürfen des Tanzes, das Gelächter, Gekreisch und Gejachter die ganze Nacht hindurch kein Ende zu nehmen.
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