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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Autoren: Thomas Mann
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Besonders zur Zeit des Karnevals und der Weinlese gingen die Wogen des Vergnügens sehr hoch. Dann brannte mein Vater im Garten eigenhändig prächtige Feuerwerke ab, worin er große Sachkenntnis und Geschicktheit besaß; die Steingutzwerge erschienen in magischem Licht, und die launigen Masken, in denen sich die Gesellschaft zusammengefunden, erhöhten die Ausgelassenheit. Ich war damals gezwungen, die Oberrealschule des Städtchens zu besuchen, und wenn ich am Morgen um sieben oder halb acht Uhr mit neugewaschenem Antlitz das Speisezimmer betrat, um mein Frühstück einzunehmen, so fand ich die Gesellschaft noch, fahl, zerknittert und mit Augen, die das Tageslicht schlecht ertrugen, bei Kaffee und Likören versammelt und wurde unter großem Hallo in ihre Mitte aufgenommen.
       Halbwüchsig durfte ich bei Tisch und bei den nachfolgenden Belustigungen gleich meiner Schwester Olympia zugegen sein. Es wurde alltäglich ein guter Tisch bei uns geführt, und mein Vater trank zu jedem Mittagessen Champagner mit Sodawasser vermischt. Aber bei den geselligen Gelegenheiten gab es lange Speisefolgen, die von einem Küchenchef aus Wiesbaden mit Hilfe unserer Köchin aufs feinste hergestellt wurden und in die erfrischende und den Appetit erneuernde Gänge, Gefrorenes und Pikantes, eingelegt waren. ›Lorley extra cuvée‹ floß in Strömen, aber auch zahlreiche gute Weine kamen auf den Tisch, wie zum Beispiel ›Berncastler Doktor‹, dessen Würze mir ausnehmend zusagte. In meinem späteren Leben lernte ich noch andere vornehme Marken kennen und mit gelassener Miene bestellen, wie etwa ›Grand vin Château Margaux‹ und ›Grand crû Château Mouton Rothschild‹ – zwei elegante Tropfen.
       Gern rufe ich mir das Bild meines Vaters vor die Seele zurück, wie er mit seinem weißen Spitzbart und seinem mit weißseidener Weste umhüllten Bauch der Tafel vorsaß. Er hatte eine schwache Stimme und schlug oft mit verschämtem Ausdruck die Augen nieder, aber der Genuß war ihm doch von der blanken und geröteten Miene zu lesen. »C’est ça«, sagte er, »épatant«, »parfaitement«, und mit ausgesuchten Bewegungen seiner Hände, deren Fingerspitzen aufwärtsgebogen waren, bediente er sich der Gläser, des Mundtuches, des Speisegeräts. Meine Mutter und meine Schwester überließen sich einer geistlosen Völlerei und kicherten zwischendurch mit ihren Nachbarn hinter gespreiztem Fächer.
       Nach Tische, wenn um die Gaslüster der Zigarrenrauch schwamm, begannen der Tanz und die Pfänderspiele. War der Abend vorgeschritten, so wurde ich wohl zu Bett geschickt, aber da Musik und Getümmel mich nicht schlafen ließen, so stand ich meist wieder auf, hüllte mich in meine rotwollene Bettdecke und kehrte, so kleidsam vermummt, zum Jubel der Frauen in die Gesellschaft zurück. Die Erfrischungen und Imbisse, die Bowlen, Limonaden, Heringssalate und Weingelees nahmen bis zum Morgenkaffee kein Ende. Der Tanz war ausgelassen und üppig, die Pfänderspiele bildeten Vorwand für Küsse und andere körperliche Annäherungen. Die Frauen, in ausgeschnittenen Kleidern, beugten sich lachend über die Stuhllehnen, um Einblick in ihren Busen zu gewähren und so die Herrenwelt für sich zu gewinnen, und den Höhepunkt des Ganzen bildete nicht selten die Schelmerei, daß plötzlich das Gas ausgedreht wurde, was jedesmal ein unbeschreibliches Drunter und Drüber zur Folge hatte.
       Diese geselligen Unterhaltungen waren vorzüglich gemeint, wenn unser Hauswesen im Städtchen für verdächtig galt, und man faßte, wie mir zu Ohren kam, dabei hauptsächlich die ökonomische Seite der Sache ins Auge, indem man nämlich munkelte (und nur zu recht damit hatte), daß die Geschäfte meines armen Vaters verzweifelt schlecht stünden und daß die kostbaren Feuerwerke und Diners ihm als Wirtschafter notwendig den Rest geben müßten. Dieses öffentliche Mißtrauen, das meiner Feinfühligkeit früh bemerkbar wurde, vereinigte sich, wie erwähnt, mit gewissen Sonderbarkeiten meines Charakters, um eine Vereinsamung zu zeitigen, die mir oft Kummer bereitete. Desto herzlicher beglückte mich ein Erlebnis, dessen Schilderung ich hier mit besonderem Vergnügen einrücken werde.
       Ich zählte acht Jahre, als ich und die Meinen einige Sommerwochen in dem benachbarten und so namhaften Langenschwalbach verbrachten. Mein Vater nahm dort Moorbäder gegen die Gichtanfälle, die ihn zuweilen plagten, und meine Mutter und Schwester machten auf der
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