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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Autoren: Thomas Mann
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und Angst hatte vor Zouzou’s Entrüstung, von der nicht zu sagen war, wie weitgehend sie sich äußern würde, – oder weil meine bewegliche Seele eine Ablenkung von dem Verlangen danach erfuhr durch neue, äußerst packende Eindrücke, auf die ich sofort zu sprechen kommen werde, – genug, ein Tag nach dem anderen verstrich, ohne daß ich der Vorladung Zouzou’s Folge geleistet hätte. Etwas kam dazwischen: ein, ich wiederhole es, ablenkendes Erlebnis von düsterer Festlichkeit, das mein Verhältnis zu dem Doppelbilde von einer Stunde zur anderen veränderte und verschob, indem es den einen Teil, den mütterlichen, mit sehr starkem Licht, einem blutroten, übergoß und den anderen, den reizend töchterlichen, dadurch ein wenig in den Schatten stellte.
    Wahrscheinlich gebrauche ich dies Gleichnis von Licht und Schatten, weil in der Stierkampf-Arena der Unterschied zwischen beiden, zwischen der prall besonnten und der im Schatten liegenden Hälfte eine so bedeutende Rolle spielte, wobei nun freilich die Schattenseite den Vorzug hatte und dort wir vornehmen Leute saßen, während das kleine Volk in die pralle Sonne verwiesen war … Aber ich spreche zu unvermittelt von der Stierkampf-Arena, als ob der Leser schon wüßte, daß es sich hier allerdings um den Besuch dieses hochmerkwürdigen, ur-iberischen Schauplatzes handelt. Schreiben ist kein Selbstgespräch. Folge, Besonnenheit und ein unüberstürztes Heranführen an den Gegenstand sind dabei unerläßlich.
       Allem voranzustellen ist, daß damals mein Aufenthalt in Lissabon sich allgemach seinem Ende näherte; bereits schrieb man späte Tage des September. Die Wiederkehr der ›Cap Arcona‹ stand nahe bevor, und bis zu meiner Einschiffung blieb kaum eine Woche. Dies gab mir den Wunsch ein, dem Museu Sciências Naturaes in der Rua da Prata auf eigene Hand einen zweiten und letzten Besuch abzustatten. Ich wollte, bevor ich reiste, den weißen Hirsch im Vestibül, den Urvogel, den armen Dinosaurier, das große Gürteltier, das köstliche Nachtäffchen Schlanklori und all das, nicht zuletzt aber die liebe NeandertalFamilie und den frühen Mann, der der Sonne einen Blumenstrauß präsentierte, noch einmal sehen; und so tat ich. Das Herz voller Allsympathie, durchwanderte ich eines Vormittags, ohn’ alle Begleitung, die Zimmer und Säle des Erdgeschosses, die Gänge des Souterrains von Kuckucks Schöpfung, worauf ich nicht unterließ, beim Hausherrn, der doch wissen sollte, daß es mich wieder hierher gezogen, zu kurzer Begrüßung in seinem Bureau vorzusprechen. Wie immer empfing er mich mit vieler Herzlichkeit, lobte mich für meine Anhänglichkeit an sein Institut und machte mir dann folgende Eröffnung:
       Heute, Samstag, sei der Geburtstag des Prinzen LuizPedro, eines Bruders des Königs. Aus diesem Anlaß sei auf den morgigen Sonntag, nachmittags drei Uhr, eine Corrida de toiros, ein Stierkampf, dem der hohe Herr beiwohnen werde, in der großen Arena am Campo Pequeno angesetzt, und er, Kuckuck, gedenke mit seinen Damen und Herrn Hurtado das volkstümliche Schauspiel zu besuchen. Er habe Karten dafür, Plätze auf der Schattenseite, und er habe auch einen für mich. Denn er meine, es treffe sich ausgezeichnet für mich als Bildungsreisenden, daß mir, gerade noch bevor ich Portugal verließe, Gelegenheit geboten sei, hier einer Corrida beizuwohnen. Wie ich darüber dächte?
       Ich dachte etwas zaghaft darüber, und ich sagte es ihm. Ich sei eher blutscheu, sagte ich, und, wie ich mich kennte, nicht recht der Mann für volkstümliche Metzeleien. Die Pferde zum Beispiel – ich hätte gehört, daß ihnen der Stier öfters den Bauch aufschlitze, so daß die Gedärme heraushingen; ich würde das ungern in Augenschein nehmen, vom Stiere selbst nicht zu reden, um den es mir einfach leid sein würde. Man könne ja sagen, eine Darbietung, der die Nerven der Damen sich nicht verweigerten, müsse auch mir erträglich, wenn nicht genußreich sein. Aber die Damen, als Ibererinnen, seien eben in diese starken Sitten hineingeboren, während es sich bei mir um einen etwas delikaten Fremden handle – und so weiter, in diesem Sinn.
       Aber Kuckuck beruhigte mich. Ich möge mir von der Festlichkeit, versetzte er, keine zu abstoßenden Vorstellungen machen. Eine Corrida sei zwar eine ernste Sache, aber keine abscheuliche. Die Portugiesen seien tierliebende Leute und ließen nichts Abscheuliches dabei zu. Was etwa die Pferde betreffe, so trügen sie längst
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