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Beim Blick in deine Augen

Beim Blick in deine Augen

Titel: Beim Blick in deine Augen
Autoren: Sharon Kendrick
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die geschlossene Tür und lauschte angestrengt, während sie sich fragte, ob Alex wirklich noch schlief. Aber siebenjährige Jungen kamen morgens alle schwer aus dem Bett, oder? Und sie wurden immer neugieriger, je älter sie wurden … stellten Fragen, auf die sie keine Antworten wusste …
    „Leise. Ich will nicht, dass Alex uns hört!“
    „Warum nicht? Warum darf er nicht wissen, dass sein Vater einer der reichsten Männer auf dem Planeten ist – während seine Mutter in einer Bäckerei schuftet, um ihn durchzubringen?“
    „Ich will nicht, dass …“ Aber Laura beendete ihren Satz nicht. Was wollte sie nicht? Sie wollte ihren geliebten Sohn nicht verletzen, weil es die Pflicht jeder Mutter war, ihr Kind zu beschützen? Es fiel ihr immer schwerer, das zu tun. Erst letzten Monat war Alex mit einem hässlichen blauen Fleck auf der Wange nach Hause gekommen, und als sie ihn fragte, was passiert war, hatte er etwas vor sich hin gemurmelt und sich in sein Zimmer zurückgezogen. Erst später hatte sie erfahren, dass er offenbar in einen Streit auf dem Schulhof verwickelt gewesen war. Und noch später fand sie auch den Grund heraus, als sie mit blassem Gesicht und zitternd mit der Rektorin sprach.
    Offenbar wurde Alex von den anderen Kindern gehänselt, weil er „anders“ aussah. Wegen seiner olivfarbenen Haut, seinen schwarzen Augen und seiner Größe, die ihn älter und stärker aussehen ließ als die anderen Jungen in seiner Klasse. Und weil die kleinen Mädchen in seiner Klasse – selbst im zarten Alter von sechs oder sieben Jahren – dem dunkeläugigen Alex wie anhängliche kleine Welpen folgten. Wie der Vater, so der Sohn. Der Gedanke hatte ihr einen scharfen Stich versetzt.
    Lauras Gefühle waren in Aufruhr gewesen, als sie an jenem Tag nach Hause ging. Sie war kurz davor gewesen, ihren Sohn von der Schule zu nehmen und irgendwo anders hinzuschicken, um ihm weiteres Leid zu ersparen – aber das konnte sie sich nicht leisten. Die nächste staatliche Schule befand sich im Nachbarort, und da sie kein Auto besaß und die Busse extrem unzuverlässig fuhren, war das keine Alternative.
    In letzter Zeit fragte Alex sie immer öfter, warum er anders aussah. Er war ein intelligenter kleiner Junge, und früher oder später würde er sie nicht mehr mit ein paar vagen, schwammigen Informationen über einen Vater davonkommen lassen, den er niemals gesehen hatte. Wenn Constantine doch nur mit ihr reden würde, dachte sie verzweifelt. Wenn er seinen Sohn anerkennen und ein bisschen Zeit mit ihm verbringen würde – das war alles, was sie wollte. Dass ihr geliebter Sohn ein wenig über seine Herkunft erfuhr.
    Geistesabwesend machte sie Alex sein Frühstück und brachte ihn den kurzen Weg zur Schule. Obwohl die Sommerferien kurz bevorstanden, war das Wetter in letzter Zeit schrecklich, und an diesem Morgen schien der Dauerregen jeden Zentimeter ihres Körpers zu durchdringen. Sie zitterte leicht und gab sich Mühe, fröhlich zu wirken, aber sie hatte das Gefühl, als läge ihr ein schweres Gewicht auf der Brust.
    Alex blickte sie mit seinen dunklen Augen an und runzelte die Stirn. „Stimmt etwas nicht, Mum?“, fragte er.
    Dein Vater wird bald eine andere Frau heiraten und wahrscheinlich eine Familie mit ihr gründen. Sie sagte sich, dass der glühende Stich der Eifersucht, der sie durchfuhr, unter den gegebenen Umständen völlig unangemessen war, und drückte ihren Sohn an sich, als sie sich verabschiedeten.
    „Nein, es ist alles in Ordnung, Schatz.“ Sie lächelte strahlend, sah Alex nach, während er über den Schulhof rannte, und betete, dass die Standpauke der Rektorin bei den kleinen Wilden angekommen war, die ihm so zugesetzt hatten.
    Gedankenverloren lief sie zurück zur Bäckerei. Sie hängte ihren feuchten Mantel an die Garderobe im hinteren Teil des Ladens und zog eine Grimasse, als sie ihr blasses Gesicht in dem kleinen Spiegel sah, der hinter der Tür hing. Ihre grauen Augen blickten sorgenvoll, und ihr feines Haar klebte wie ein besonders unattraktives Tuch an ihrem Kopf. Vorsichtig kämmte sie sich, dann entschied sie sich, wie sie oft, zu einer bequemen Hochsteckfrisur.
    Sie zog ihren Overall an und war immer noch tief in Gedanken versunken, als sie in den Verkaufsraum ging, wo ihre Schwester gerade das Licht anmachte. Noch fünf Minuten, dann öffneten sie, und der erste Ansturm des Tages würde beginnen – von Dorfleuten, die frisches Brot und Brötchen kaufen wollten. Laura wusste, wie glücklich
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