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Begegnungen Januar (German Edition)

Begegnungen Januar (German Edition)

Titel: Begegnungen Januar (German Edition)
Autoren: Ana Hofmann
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und gewährte einen wenig
schmeichelhaften Anblick auf seinen fülligen Bauch. In einem
Ohr hing ihm ein kleiner Diamant, an dem anderen eine lange
Kette mit Totenkopf. Unbewusst zupfte sie sich an ihren
eigenen nackten Ohrläppchen und wünschte sich plötzlich, sie
hätte nicht auf ihre eigenen Ohrringe verzichtet.
Offensichtlich wurde hier wenig Wert auf klassisches,
professionelles Auftreten gelegt, dafür umso mehr auf
Individualität.
„Mira?“, fragte er mit heiserer Stimme.
Und als sie nickte, reichte er ihr seine schwer beringte
Hand, deutete ihr, ihm zu folgen und begann im Gehen seinen
Vortrag, den er wohl schon oft gehalten hatte. Er schien
kaum Luft zu holen.
„Willkommen bei Art-Deco-Berlin. Hier arbeiten
hundertfünfzig feste Mitarbeiter und eine unzählbare Armada
aus Temps und Praktikanten. Die Abteilungen sind
ausgeschildert, verlauf dich nicht! Du wärst nicht die
erste, die hier für einen halben Tag und mehr abhanden
gekommen wäre. Du wirst in der Fotografie arbeiten. Was
heißt das? Natürlich nicht, dass du Fotos machen wirst. Du
wirst die Fotografen unterstützen, ihr Equipment auf
Vollständigkeit überprüfen, die Beleuchtung kontrollieren.
Wenn du dich nicht ganz dumm anstellst, dann schicken wir
dich vielleicht einmal selbst zu einem Termin. Zu einem
kleinen Termin! Du wirst von Helen einen Laptop erhalten.
Helen ist die gute Seele unserer Abteilung, verärgere sie
nicht, sonst findest du dich am Ende irgendwo in Sibirien
wieder. Ohne Rückfahrschein. Der Laptop ist dein
Arbeitsgerät. Verliere ihn nicht. Wir statten ihn mit HighSpeed-Internet aus, wir erwarten, dass du täglich mehrmals
in deine Emails schaust. Wenn dein Teamleiter keine Zeit hat
oder der Auftrag nicht wichtig genug ist, dann musst du die
Bilder von der Retusche kontrollieren. Sie kommen in der
Nacht, am Wochenende. Also, ich kann es nicht oft genug
betonen, verliere deinen Laptop nicht! Du wirst ihn
brauchen. Sieh dir die Bilder von der Retusche genau an! Die
Computerheinis machen sich manchmal einen Spaß draus,
irgendwelche Eastereggs darin zu verstecken. Nackte Brüste,
dritte Arme und sowas. Wenn du so etwas siehst, mach ihnen
Dampf. Schrei sie an, aber lass es dir ja nicht gefallen,
sonst kriegst du irgendwann gar keine brauchbaren Bilder
mehr.“
Er stoppte und breitete seine Arme aus.
„Und damit... Willkommen in der Hölle!“
Sie sah sich um. Es war ebenso geschäftig hier wie unten.
Halb durchsichtige Trennwände teilten die Arbeitsplätze
voneinander ab, an denen geklickt, telefoniert und
geschwatzt wurde.
„Helen!“, bellte Harry. „Frischfleisch!“
Und mit einem letzten Händedruck war er verschwunden. Dafür
kam eine attraktive Mitvierzigerin aus ihrem Verschlag
gekrochen, reichte ihr die Hand und fragte: „Mira, nehme ich
an? Ich bin Helen, Hausdrache und Mädchen für alles.“
„Hallo... Helen.“
Es kam ihr merkwürdig vor, diese Frau, die fast so alt wie
ihre Mutter war, mit dem Vornamen anzusprechen. Aber
anscheinend duzte sich hier jeder und sie wollte sich davon
nicht einschüchtern lassen. Helen deutete auf einen
Schreibtisch, der über und über mit Papieren übersät war.
„Das ist dein Platz. Du wirst ein wenig Ordnung machen
müssen, aber das Mädel vor dir ist seit letzter Woche
einfach nicht mehr gekommen. War wohl zu viel für ihr armes
Gemüt. Es wäre schön, wenn du ihre Aufgaben noch zu Ende
machen könntest, es drängt nicht, aber ein Abschluss ist
immer gut. Du kannst ihren Laptop übernehmen, es müssten
noch ein paar Sachen drauf sein, die erledigt werden müssen,
aber wenn du fertig bist, dann schick ich dir jemanden von
der IT, der ihn dir formatiert und leerräumt. Alles klar?“
Nichts war klar, aber sie wollte es sich nicht anmerken
lassen und nickte tapfer und zuversichtlich.
Helen nickte ihr aufmunternd zu. „Du gefällst mir, Mädel.
Und jetzt an die Arbeit!“
Es dauerte einige Stunden bis Mira das Chaos geordnet hatte.
Sie hatte die Papiere in ordentliche kleine Stapel
geschichtet, die Rechnungen in das Fach auf ihrem Platz mit
der Aufschrift „Finanzen“ geworfen und den Rest mit kleinen
Klebezetteln versehen auf Helens Arbeitsplatz gelegt.
Blieb nur noch der Computer. Ihre Vorgängerin hatte sich
viele kleine Ordner angelegt mit Beschriftungen wie
„Restaurantguide“ oder „Bilder Image Oper“ oder „To Do:
Modeshooting Katalog TS“. Es war eigentlich sehr
übersichtlich.
Sie klickte auf den
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