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Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die

Titel: Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die
Autoren: Erich Mühsam
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zugelassen zu werden. Voraussetzung jedes Kampfes gegen die Beschimpfung des Menschen durch die Vorenthaltung der Produktionsmittel und durch die Staatssklaverei ist in viel höherem Maße als die Kenntnis von Entwicklungsgesetzen und ökonomischen Zusammenhängen der freiheitliche Stolz, der den Ehrbegriff der Anarchisten umschließt. Nur wenn Stolz, innere Freiheit und musterhafte Sauberkeit sich im Benehmen der Anarchisten untereinander und in der Beziehung zu den Vertretern anderer Ansichten offenbaren, ist Hoffnung, daß die Befreiung der Gesellschaft vom Staat gelingen und zum Aufbau einer föderalistischen, autoritätslosen Räterepublik führen kann. Anarchie ist nur von Anarchisten zu schaffen; die Anarchisten der Gegenwart, mögen ihrer viele oder wenige sein, müssen die Grundsätze der Anarchie täglich und stündlich zur Geltung bringen, soll die zukünftige Volksgemeinschaft Anarchie, sollen die Menschen der Zukunft Anarchisten sein. Darum muß in den Verbindungen und Verständigungen der Anarchisten zur Vorbereitung neuer Lebensverhältnisse auf strenge Gerechtigkeit im gegenseitigen Verhalten gesehen werden. Nie darf sich ein einzelner von seinen bevorzugten Gaben als Redner, Lehrer, Organisator, Anreger verleiten lassen, alle Initiative an sich reißen zu wollen. Nie darf sich eine Mehrheit herausnehmen, die Rechte der Minderheit zu schmälern. Das Ziel ist eine Gemeinschaft, die weder Mehrheiten noch Minderheiten, noch faule Ausgleichungen zwischen beiden kennt, wobei niemandzufriedengestellt wird; das Ziel ist eine Gemeinschaft, die überall einstimmige Entschlüsse ermöglicht, weil sie jeder Persönlichkeit erlaubt, sich an der rechten Stelle ins gemeinsame Ganze zu fügen. Freiwillige Bindung durch Vertrag und Kameradschaft läßt solche Uebereinstimmung aller in Wollen und Handeln in jeder Vereinigung und Genossenschaft zu, und der genossenschaftliche Geist, den die Anarchisten untereinander pflegen, wird den Genossenschaften und freiwilligen Uebereinkünften in Kultur und Wirtschaft der Zukunft die Wege zeigen und sie zugleich ebnen.
    Erst recht muß das Verhalten der Anarchisten in der ideologischen Bekämpfung entgegengesetzter Meinungen vorbildlich ehrenhaft sein. Schmutzige Kampfmittel, Verdächtigungen, Verleumdungen, krumme Pfade zur Irreführung von Genossen und Feinden schädigen unter allen Umständen die überzeugende Stoßkraft einer Idee, deren Stärke ihre Reinheit ist. Die autoritären marxistischen Parteien legen auf die Moral im Kampfe keinen Wert. Sie geben von oben herunter an ihre Anhänger Richtlinien des Verhaltens aus, durch die sie glauben, Zucht und Gehorsam am besten sichern zu können. Die Befolgung dieser nach Umständen auswechselbaren Vorschriften nennen sie proletarische Disziplin, jede persönliche Gewissensprüfung vor der Eröffnung eines Kampfes um Gesinnungen lästern sie als bürgerliches Vorurteil. Mit dieser Art Unterscheidung von proletarischer und bürgerlicher Moral wird der gefährlichste und verwirrendste Unfug getrieben. Bürgerlichkeit bezeichnet nichts anderes als den gesamten Ideengehalt der durch die kapitalistische Wirtschaftsweise geschichtlich bestimmten Gesellschaftsform. Durch die Uebersteigerung der kapitalistischen Ausbeutungsformen und die Hochzüchtung des Imperialismus, das ist die Aussaugung abhängig gemachter Fremdgebiete für Gewinnzwecke der Kapitalisten des erobernden Staates, hat sich der Ideengehalt der gegenwärtigen Gesellschaftsform teilweise derartig entsittlicht, daß die auf sozialem Rechtsgefühl gegründete natürliche Moral der Menschen revolutionäre Abhilfe heischt. Wird unter proletarischer Moral die Moral der Gleichheit und Gegenseitigkeit verstanden, die sich der unsozialen Macht mit dem revolutionären Zorn des Beleidigten und Entrechteten entgegenwirft, so ist hier die sittliche Unterscheidung von einer Bürgerlichkeit am Platze, die da meint, ihre eigennützigen Versklavungsmethoden mit jeder Roheit, jeder Tücke und jeder seelischen Verknechtung verteidigen zu dürfen. Wird aber den Proletariern gesagt, in ihrem Kampfe gegen Unterdrückung und Schändung seien Lüge und Verleumdung, Hinterlist, Doppelzüngigkeit und Verräterei erlaubte und gegebenenfalls sogar innerhalb der eigenen Richtungskämpfe gebotene Klassenwerkzeuge, so kann nicht vernehmlich genug betont werden, daß hier die Verfallsmoral des Bürgertums Blasen treibt, gerade die Verfallsmoral, die die Revolution gegen das Bürgertum notwendig macht.
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