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Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die

Titel: Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die
Autoren: Erich Mühsam
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der Rechtfertigung nicht allein aus seinen materiellen Vorteilen für die Mehrzahl der Menschen, sondern aus seinem geistigen Gehalt. DieseRechtfertigung ist aber nur möglich, wenn der Sozialismus, über seine Eignung, geistige Werte zu entwickeln hinaus, selbst als geistiger Wert erwiesen und erkannt wird. Die Erneuerung der wirtschaftlichen Beziehungen im Sozialismus kann im Sinne der Gleichberechtigung aller nur wirksam werden bei gleichzeitiger Erneuerung der geistigen Beziehungen zwischen den Menschen, wie nur erneuerte geistige Beziehungen imstande sind, im Wirtschaftlichen aus dem Individualismus der Ungleichheit den Sozialismus der Verbundenheit zu schaffen. Indem also der kommunistische Anarchismus mit alten sozialistischen Lehren einig geht in der Zielsetzung der wirtschaftlichen Gleichheit als Grundlage des Verkehrs der Menschen untereinander, betrachtet er diese gesellschaftliche Umgestaltung im Gegensatz zu den nur materialistisch gerichteten Lehren des Marxismus nicht als einzigen Inhalt seines Strebens, sondern als eine der unerläßlichen Bedingungen für die durchgreifende und alle Lebensbeziehungen erfassende Neuschaffung der Gesellschaft überhaupt. Der Begriff der Gleichheit möge nicht in der Bedeutung von Gleichmacherei verstanden werden. Im Gegenteil ist die Forderung der Gleichheit nichts anderes als die Forderung: Gleiches Recht für alle! Das heißt: gleiche Bedingungen für einen jeden, seine Anlagen zu ihren günstigsten Möglichkeiten zu entwickeln.
    Wirtschaftliche Gleichheit besagt soviel wie Ausschaltung aller aus widrigen Umständen, zumal aus Mangel, erwachsenen Störungen, die die Entfaltung der Individualität in ihrer Verschiedenheit von allen anderen Individualitäten behindern. Gleichheit, als Gleichberechtigung verstanden, unterbindet nicht, sondern ermöglicht erst das Wachstum der Persönlichkeit. Während die kapitalistische Gesellschaft das Kind des Reichen in seidene Steckkissen legt, es bei gewähltester Körper- und Geistespflege aufzieht, ihm hohe Wissensbildung zuführt und, ohne Unterschied der Begabung und des Charakters, ihm die Berufe der Herrschenden erschließt; während sie, ebenfalls ohne Unterschied der Begabung und des Charakters, das Kind des Ammen in trüben Wohnlöchern, bei wenig Licht und schlechter Luft, in trauriger, gequälter Umgebung von früh an den Einflüssen und Eindrücken des Elends preisgibt, ihm den Unterricht versagt, der den Zwecken der Mächtigen Abbruch tun könnte, es zur Knechtsgesinnung erzieht und zur persönlichkeitstötenden Arbeit zwingt, – gewährt die Gleichheit des Sozialismus jedem Kinde Licht, Luft, Lust und Raum zum Gedeihen aller Keime, die aus Natur und Bewußtsein einen Menschen in seiner Besonderheit und in seiner Verbundenheit mit seinen Zeit-, Schicksals- und Artgenossen werden läßt. Der Kapitalismus treibt demnach ödeste Gleichmacherei in zweierlei Art, solche, die für die besitzende Klasse und solche, die für die ausgebeutete Klasse gilt; der klassenlose Sozialismus hingegen schafft für alle Menschen die Gleichheit der Voraussetzungen, auf denen jede Persönlichkeit in der vollen Mannigfaltigkeit ihrer einmaligen Wesenheit, aber in harmonischer Zusammengehörigkeit mit dem gesellschaftlichen Ganzen nach ihren Fähigkeiten Werte schafft, nach ihrem Bedürfnis an der Benutzung des Allgemeinguts teilnimmt.
    Erst wenn auf solche Weise der Grundsatz der Gleichheit geistigen Sinn und sittliche Erhöhung erfährt, ist er nach anarchistischer Auffassung sozialistisch gerechtfertigt. Nicht auf den Ausgleich ins Wanken geratener äußerlicher Verhältnisse zwischen den Menschen kommt es an, sondern darauf, daß dieser Ausgleich aus innerlicher Notwendigkeit unternommen wird; und nicht die Ungleichheit an sich in hinlänglicher Anlaß Gleichheit zu schaffen, sondern die Ungerechtigkeit, die in der Ungleichheit zutage tritt. Gäbe es nur materielle Erwägungen, um über die Fragen des sozialen Lebens zu entscheiden, wäre die Moral in der Tat nur die ideologische Einkleidung handfester Nutzensberechnungen, dann müßte man sich mit den Kapitalisten auf die waghalsigsten Auseinandersetzungen über die Zweckmäßigkeit ihres Systems einlassen. Der Hinweis auf Hunger leidende Kinder und auf alle übrigen Erscheinungen der Verelendung und Verwahrlosung der werktätigen Klasse könnte ja gar nicht von der Notwendigkeit überzeugen, daß ihre Ursachen abgestellt werden müssen, wenn die Produktionsweise wirklich überall und
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